...und meine Antwort darauf. Einige Argumente wiederholen sich im Vergleich zu Schreiben an andere Politiker.
Auf die Einordnung des Teppichmessers unter genauer wörtlicher Anwendung des Entwurfstextes ("Tantospitze", "feststellbare Klinge") weise ich hin und bitte andere Forumiten um - kritische - Überprüfung anhand des Entwurfswortlautes. Ich kann's selbst nämlich nicht so recht fassen...
Aber zunächst zum Antworttext:
Sehr geehrte Frau Wuttke-Götz !
Herzlichen Dank für Ihre rasche und sachliche Antwort auf mein Schreiben an den Herrn Bundesinnenminister Dr. Schäuble zur Initiative der Berliner SPD zu einer weitreichenden Waffenrechtsverschärfung („Messertrageverbot“).
Obwohl ich mein Schreiben selbstverständlich als Privatperson abgefasst habe (und mein Anliegen das eines aktiven, rechtstreuen Bürgers ist), ist es natürlich allein schon im Hinblick auf meine berufliche Tätigkeit – Ermittlungsbeamter – nicht nur Ihr, sondern unser gemeinsamer Auftrag, für ein friedliches Zusammenleben im Rahmen unserer demokratischen Rechtsordnung einzutreten. Daher verstehe (und teile) ich natürlich auch Ihr Bemühen, durch wirksame Bekämpfungsstrategien dem Phänomen einer ansteigenden (insb. Jugend-) Gewaltkriminalität entgegenzuwirken.
Nur sollte es sich eben um taugliche, wirksame Strategien handeln, die mehr Nutzen als Schaden entfalten und in Erlaß und Anwendung der für Eingriffsnormen verfassungsmäßig vorgeschriebenen strengen Durchsetzbarkeits-, Geeignetheits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten, die in der aktuellen Gesetzgebung und höchstricherlicher Überprüfung selbst zu strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen zur Schwerkriminalitätsbekämpfung zunehmende Betonung findet.
Zur Geeignetheit:
In meinem Bezugsschreiben an den Herrn Bundesinnenminister habe ich eine ganze Anzahl von Erwägungen aufgeführt, die gegen eine Geeignetheit des Entwurfs zur angestrebten Zielerreichung deutlich sprechen.
Neben den allgemeinen und gesellschaftlichen angesprochenen Erwägungen, die in der Diskussion mit Parteienvertretern, Polizeibeamten usw. durchaus Zustimmung erzielt haben (s. Anhang), ist es vor allem die beliebig erscheinende Auswahl von Beschaffenheitsmerkmalen angeblich besonders gefährlicher Messer sowie eine völlig unklare „Eingrenzung“ des Regelungskreises, die ernsthafte Zweifel an der Geeignetheit des Entwurfs aufwerfen.
Bereits jetzt ist das Waffenrecht wegen seines komplizierten Aufbaus und einer anspruchsvollen Verquickung rechtlicher und technischer Unterscheidungskriterien sowohl bei Vollzugsbehörden als auch bei Waffenbesitzern, Schützen, Jägern usw. nicht gerade für seine leichte Nachvollziehbarkeit „berühmt“.
In meinem mittlerweile gut 30 Jahre dauernden Umgang mit Messern habe ich „Kampfmesser“- Formen und entsprechende Anwendungsstile kennengelernt, die annähernd jede denkbare Klingenform und –größe umfassen – aber selbstverständlich habe ich auch genauso entsprechend vielfältige Gebrauchsmesserformen und –anwendungsbereiche kennengelernt. Es erscheint mir nach drei Jahrzehnten des Studiums, der Anwendung und des Entwurfs von Messern äußerst schwierig, mit der für eine Verbotsnorm notwendigen „Trennschärfe“ über die bereits bestehenden Messerverbote hinaus (verbotene Waffen i.S.d. WaffG) und über die Abgrenzung zwischen „normalen“ Messern und Hieb- und Stoßwaffen nach dem WaffG hinaus saubere und eindeutige allgemeine „Waffenmerkmale“ festzulegen. In diesem Zusammenhang kann ich mein Lob für die ausgesprochen lebensnah orientierte, sachkundige und in „einschlägigen Kreisen“ anerkannte Arbeit der für WaffG-Feststellungsbescheide zuständigen Mitarbeiter(innen) des BKA nur noch einmal ausdrücklich wiederholen!
Ein Beispiel: Nach dem Entwurf soll das zugriffsbereite Mitführen eines Messers mit einschneidiger feststellbarer Klinge verboten werden, bei der die Rückenlinie winklig in die Klingenspitze übergeht (Entwurf zu Art. 1 Ziffer 6, hier zu Ziffer 2.1.5.3 der Anlage 1), und zwar unbeachtlich der Klingenlänge.
Sehr geehrte Frau Wuttke-Götz , diese Beschreibung gilt für jedes mir bekannte Teppich- oder Kartonmesser (winklige Spitzenform, Feststellung durch Einschrauben oder Feststellung durch Einrasten in Stufenraster), das Zehntausende von Handwerkern, Lageristen, Lehrern bei der Bastelarbeit usw. ganz selbstverständlich in der Arbeitshose oder der Kitteltasche mit sich herumtragen, auch auf dem Weg zur Baustelle oder zum sonstigen Arbeitsort.
Nun wurden zwar die Anschläge des 11. September mit genau solchen Messern begangen, ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass es im Sinne des Gesetzgebers sein soll, diese Handwerker zu kriminalisieren oder in Legion zu Waffenschein-Antragstellern zu machen.
Ebenso wäre nach aktueller Entwurfsfassung das Mitführen einer Vielzahl von Multifunktionswerkzeugen und Rettungswerkzeugen (Rettungsmessern) nicht mehr möglich, weil diese – nicht zur Erhöhung der Waffeneignung, sondern zur sicheren Anwendung im Werkzeug- oder Rettungseinsatz – über eine Klingenarretierung verfügen.
Die Klingenarretierung hat den allgemeinen Nutzwert von Klappmessern durch eine größere Bediensicherheit so deutlich erhöht, dass heute die deutliche Mehrzahl der benutzten Klappmesser so gestaltet ist. DAHER tauchen sie eben auch vermehrt in Statistiken auf, wenn mit irgendwie verfügbaren Gegenständen Straftaten begangen werden. Wenn in der Kfz-Zulassungsstatistik über einen längeren Zeitraum eine besonders große Zahl von Autos in der Farbe „silbermetallic“ erscheint, wird sich vermutlich auch feststellen lassen, dass silberne Autos besonders häufig in Unfälle verwickelt sind – soll man dann die Farbe wegen besonders hoher Unfallgefahr verbieten?
Zudem ist doch nicht wirklich damit zu rechnen, dass die „Zielgruppe“ durch faktisch kaum durchsetzbaren Entzug einiger Werkzeuge insgesamt friedlicher werden sollte. Offenbar rechnen nicht einmal die Initiatoren des Entwurfs damit:
Sie gehen davon aus, dass das Verbot nicht zu einem Nachlassen der Gewalt, sondern lediglich zu einer Substituierung der verbotenen Messer durch neue „geeignete Gegenstände“ führen wird – wozu also dann in die Grundrechte von Millionen von Bürgern eingreifen?:
Im Begründungstext (Einleitungstext Ziffer E) wird – denkbar zynisch - hinsichtlich der erwarteten wirtschaftlichen Folgen ganz offen ausgesprochen, dass man nicht von einem Verzicht auf Messer ausgeht, sondern den Schaden der beteiligten Wirtschaftskreise als begrenzt einschätzt, weil man ja - als Ersatz für die „bösen“ Messer – eine verstärkte Nachfrage nach anderen Messern durchaus erwartet. Dieser Satz kann eigentlich nur mit dem (stummen...) Nachsatz enden: „....als dann eben legales Substitut/Surrogat für die verbotenen „Kampfmesser““.
Entsprechende Verbote in anderen europäischen Ländern haben sich als völlig ungeeignet erwiesen, das durch ganz andere Faktoren als die reine Verfügbarkeit eines spitzen Gegenstands begründete Phänomen ansteigender Jugendgewalt auch nur ansatzweise und als „Hilfslösung“ in den Griff zu bekommen:
Haben sich die Verbote in Frankreich als wirksames Mittel gegen die Wellen von Jugendgewalt in den letzten Jahren erwiesen? Haben die denkbar drastischen Regelungen in Großbritannien dazu geführt, die dort grassierende Welle von Jugendgewalt (24 Morde an Jugendlichen im Jugendgangkontext im Raum London allein im letzten Jahr!!) in den Griff zu bekommen?
Im Nachbarland Schweiz hat man die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis gezogen: Dort wurde ein bislang geltendes Verbot für Klappmesser mit Einhandbedienung wegen erwiesener Nutzlosigkeit aktuell wieder aufgehoben.
Zur Verhältnismäßigkeit:
Die in Ziffer C des Einleitungstextes zum Gesetzesantrag (Bundesdrucksache 701/07, Bl. 2) aufgestellte Behauptung, es existiere keine (weniger belastende) Alternative zum Gesetzesantrag (mit ähnlicher Wirkungsprognose...), ist unzutreffend.
Die angesprochene Gesetzesinitiative verzichtet gänzlich auf die naheliegende und zumindest weniger einschränkende Alternative, zunächst einmal abzuwarten, ob das angesprochene Messertrageverbot in „Kriminalitätsbrennpunkten“ dort tatsächlich zu einem Rückgang der mit Messern dort begangenen Straftaten führen wird.
Nicht einmal die ebenfalls denkbare Möglichkeit, lediglich das Führen bereits nach derzeitigem Waffenrecht dem Waffenbegriff unterfallender Messer einzuschränken, wird gewählt.
Auch die denkbare Möglichkeit, in breiterem Umfang als strafrechtliche Nebenfolge gegen wegen Gewaltstraftaten Verurteilte Verbote für das Mitführen von erlaubnisfreien Waffen und gefährlichen Gegenständen zu verhängen, wird gar nicht erst erwogen.
Dafür wird, wenn das Messer zur Begehung einer Gewalttat eingesetzt oder im Kontext zu schweren Straftaten aufgefunden wird, in der Praxis die Verfolgung des waffenrechtlichen Verstoßes häufig entweder nach § 154 StPO im Hinblick auf die Verurteilung zur Haupttat eingestellt oder geht im Rahmen der Gesamtstrafenbildung darin auf (bzw. unter...). Das hat die groteske Folge, daß wegen solcher Verstöße zumeist DIE am empfindlichsten bestraft werden, die KEINEN Unsinn mit den mitgeführten Messern gemacht haben. Seit vielen Jahren ist die im Vergleich zur Spruchpraxis bei Eigentums- oder Betäubungsmitteldelikten nach Ansicht vieler Praktiker (und Opfer!) viel zu niedrige Strafverhängung bei Gewalttaten ein Problemfeld, das bislang nicht einmal ansatzweise politisch gelöst worden ist. Ebenso verhält es sich mit der ja auch auf politischer Ebene aktuell geführten Diskussion über unzureichende General- und Spezialpräventionswirkungen in der aktuellen Praxis des Jugendstrafrechts.
Verbots und Strafnormen, die die Zielgruppe – hier: den messerverwendenden Gewalttäter – gezielter und wirksamer treffen als ein allgemeines Verbot, sind für die Allgemeinheit nachvollziehbarer und weniger belastend und einschränkend, also in allgemeiner Sicht ein milderes Mittel zur Zielerreichung – und damit bei einer entsprechenden Abwägung von Eingriffsmitteln zu wählen.
Zur Durchsetzbarkeit:
In der Entwurfsbegründung wird behauptet, die Vollzugsbehörden seien auf eine entsprechend auszuweitende Kontrollpraxis zur Prüfung der Einhaltung der Verbotsnormen ausreichend vorbereitet – der Erlaß einer unkontrollierbaren, praktisch nicht einzufordernden Norm wäre ja auch nicht verfassungskonform!:
Die Polizei bekommt aber keine zusätzlichen Rechte oder zusätzlichen Kräfte (im Gegenteil, sie wird durch allgemeinen Stellenabbau und überbordende Verwaltungsaufgaben zunehmend in ihren Handlungsmöglichkeiten geschwächt!) Wie soll sie dann auf die Durchsetzung der Trageverbote vorbereitet sein? Es wären dann schließlich „Tatwaffen“ in schätzungsweise zweistelliger Millionenzahl im Umlauf.
Wenn sie vorbereitet ist, warum wird dann nicht aktuell erfolgreicher gegen die Mitführung der bereits verbotenen Waffen vorgegangen? Es wurde hier bereits angesprochen, dass bereits diverse einschlägige Verbote existieren (Butterfly-Messer, Faustmesser, bestimmte Springmesser, Stichwaffen bei Minderjährigen, Nunchakus usw.) – in der Begründung wird doch gerade darauf verwiesen, dass eine große Zahl auch dieser Waffen kursiert...Man vermutet im Bundesgebiet mehrere Millionen illegaler scharfer Schusswaffen, es sind mehrere Millionen PTB-Waffen (Gaswaffen) im Umlauf, für die nur eine geringe Anzahl „kleiner Waffenscheine“ ausgestellt wurde.
Verzeihen Sie, dass ich zu dieser Problemstellung soviel von Ihrer Zeit in Anspruch genommen habe. Ich gehe aber davon aus, dass entsprechende Fragen in der nächsten Zeit noch mehrfach thematisiert werden und Ihnen – auch als Feedback für die Arbeit Ihrer Behörde – Meinungen und Reaktionen betroffener Bürger nicht gänzlich gleichgültig sind. Vielleicht habe ich Ihnen ja auch Argumente vorgetragen, die Sie – unbeachtlich eigener Wertung – zumindest für geeignet halten, sie zur weiteren Entscheidungsfindung weiterzuleiten und in entsprechende Abwägungen einfließen zu lassen.
In der Anlage füge ich Auszüge aus Antwortschreiben und Statements in verschiedenen Internetauftritten, Foren usw. im Rahmen der aktuellen Diskussion zu Ihrer Kenntnis bei (nachzulesen unter
www.messerforum.net, Foren „Verschiedenes“, Unterforum „Politik & Recht“, Thread „Allgemeines Messertrageverbot – Offene Briefe an Spitzenpolitiker“) und verbleibe
Hochachtungsvoll
(Es folgen Auszüge aus dem GdP-Antwortschreiben und dem Schreiben von Herrn MdB Rohde, FDP, hier aus dem Thread)
Beste Grüße!
Micha