Warum ist es schwierig Solinger Schweissverbund-Musterklingen vor 1821 zu finden?
Mögliche Begründung, warum Solinger Blankwaffen mit Schweissverbund-Musterklingen aus der Zeit vor 1821 schwer zu finden sind.
Wie in meinen vorgängigen Beiträgen dargelegt, habe ich bis anhin noch keine gesicherten Nachrichten über bzw. Artefakte von Solinger Schweissverbund-Musterklingen aus der Zeit vor dem 19. Jhd. gefunden. Auch ist es schwierig solche Klingen für das erste Viertel des 19. Jhd. ausfindig zu machen.
Wie nachstehend ersichtlich, gehen verschiedene Quellen des 20. Jhd. davon aus, dass in Solingen die Schweissverbundtechnik zur Nachahmung der wahren Damaszenerklingen erst Anfang des 19. Jahrhundert Einzug nahm:
1922: „Das im Anfang des 19. Jh. in Solingen eingeführte Verfahren zur Erzeugung von Damaststahl, lehnt sich stark an das von Clouet an. Es war stets nur einige wenige Hammerschmiede zwischen Solingen und Remscheid, die ihre bei der Raffinierstahl gemachten Erfahrungen auch auf den Damaststahl anwendeten.“
1959: „Die Herstellung von Klingen aus künstlichem Damast (RiR: aufgrund Kontext ist Schweissverbundtechnik gemeint) wurde in Solingen erst zu Anfang des 19. Jh. eingeführt,...“
Sollte im nachstehenden Kommentar Daniels aus dem Jahre 1802 die Bezeichnung „ächter Damaszener Stoff“ wirklich auf Schweissverbund-Musterklingen beziehen (was ich aufgrund der weiteren Bemerkung Daniels annehme), bestätigt dieser Hinweis die Herstellung von vereinzelten Schweissverbund-Musterklingen in Solingen zu Beginn des 19. Jhd..
1802: „In Solingen werden Klingen von allen Gattungen und Preisen verfertigt, wie jeder solche verlangt: einfach, geätzt, vergoldet, gebläut, ächt oder falsch damasziert (RiR: reine Oberflächenverzierung), Eisenheuer (RiR: möglicherweise Eisenhauer gemeint), eben oder mit künstlich eingeschliffenen oder durchbrochenen Figuren. … Die Zahl der Kunstschleifer, welche die Figuren in die Klingen einschleifen sowohl, als der Schmiede, welche den ächten Damaszener Stoff (RiR: im französischen wird Schweissverbundstahl Étoffe genannt) in den Klingen anbringen, ist sehr klein. …
Man hört und sieht nicht, dass sich andere auf diese Kunst legen. Deswegen steht nicht ohne Grund zu befürchten, dass, wenn die wenigen Künstler, welche sich dieser Arbeit widmen, aussterben, diese Kunstklingen mit der Zeit sich verlieren werden, wenn hierbei keine Vorsorge bei Zeiten genommen wird.
Nach meinem Dünken müsste eine Prämium für die best geschmiedete Damaszener Klinge, eins für denjenigen Schleifer, welcher sich im Kunstschleifen mit eingeschliffenen Figuren vor den übrigen Schleifer - Handwerksbrüdern hervortun würde, sodann eins für denjenigen Ätzer, welcher die Zeichenskunst beim Grafieren am meisten am Tag legen würde, …“
Daniels machte sich im Jahre 1802 offensichtlich ernsthaft sorgen, dass in Solingen hochwertige Kunstarbeiten an Klingen in Solingen verloren gehen könnte. In der Allgemeine Literatur-Zeitung aus dem Jahre 1809 finden sich folgender diesbezüglicher Kommentar: „Wir können nicht umhin, dem Vf. (Adam Edler von Daniels) das Lob einer geraden rücksichtslosen Darstellung zu erteilen, und wünschen, zum Wohl von Solingens Fabriken, dass die in dieser Schrift aufgestellten patriotischen Vorschlage recht bald in Ausführung gebracht, und dadurch auch dort dem Schlendrian, Empirismus und groben Handwerksgebrauchen gesteuert werden möge.“
Betreffend den Krisenjahre Solingens in der Zeit von ca. 1789 bis ca. 1815 verweise ich auf folgende Ausführungen:
1879: „Inzwischen engte der Kreis der Abnehmer sich fortdauernd ein. Namentlich der grosse Weltenkriege der Jahre 1790-1815 strengten alle Staaten sich auf Äusserste an, um in ihrem Kriegsbedarf sich unabhängig zu stellen; die einen verbesserten die bestehenden Einrichtungen, die andern riefen neue ins Leben und suchten selbst mit grössten Opfern die Waffenindustrie heimisch zu machen. So verlor Solingen Frankreich, welches während der Revolution seine Fabriken gründete und nach dem letzten Kriege sich ganz selbständig gemacht hat. England, das früher kaum einige hundert Arbeiter beschäftigt hatte, später aber auf der pyrenäischen Halbinsel Concurrenz bereitete, ... Ein Hauptgrund für die Einrichtung und Vervollkommnung der ausländischen Waffenfabriken waren die hohen Preise welche Solingen forderte. Das hing mit dem trostlosen Zustand der Technik zusammen, wie er in einem folgenden Capitel geschildert werden soll. Die Schleiferei konnte nämlich in den verfallenen Wasserkotten oft monatelang im Jahre nicht betrieben werden und zwang dadurch auch die Schmiederei zum Stillstand; ...“
1993: „Die 1806 einsetzende und bis 1813 dauernde französische Herrschaft im Bergischen Land brachte jedoch einen scharfen Rückschlag dieser blühenden industriellen Entwicklung. Die Franzosenzeit wurde zu eine Kette unaufhörlicher Schicksalsschläge, welche die bergischen Industrie allmählich erdrosselten und damit den Ruin des gesamten bergischen Wirtschaftsleben herbeiführten.“
Möglicherweise haben sich Daniels Befürchtungen bewahrheitet, und die wenigen Schmiede, welche in Solingen Schweissverbund-Musterklingen schmiedeten, haben aufgrund der seit ca. 1789 bis ca. 1815 andauernden Krise, des fehlenden Absatzmarktes, der überteuerten Preise, etc. für eine bestimmte Zeit keine oder nur noch ausnahmsweise solche „Luxus“-Klingen geschmiedet.
In Manfred Sachses „Damaszener Stahl“ findet sich folgende Bemerkung: „Das frühe 19. Jh. liess vermutlich für die Herstellung von Damaszener Stahl in Solingen nicht viel Zeit. Erst nach dem Sturz Napoleons 1815 kommt es langsam wieder zu Nachrichten über den Damaszenerstahl.“
Es ist somit denkbar, dass aufgrund des historischen Kontextes in Solingen vor 1821 effektiv sehr wenige Schweissverbund-Musterklingen hergestellt wurden. Der überwiegende Anteil von Solinger Damaszener-Nachahmungen bis 1821 wurde vermutlich mittels Ätztechnik hergestellt. Dies würde erklären, warum es so schwierig ist Solinger Schweissverbund-Musterklingen vor 1821 zu finden.
In der folgenden Quelle ist nebst der Ätztechnik zur Damastmuster-Nachahmung auf den Klingenobenflächen in Solingen auch eine
weitere Variante aufgeführt:
1809: „In Solingen ahmte man die Damaszierung nach. Mit Vitriol und Kalk machte man auf den Oberflächen der Klingen Wasserwogen erscheinen; die aber türkischen ganz unähnlich waren, weil man sie zu regelmässig einätzte, weil sie von Vitriol zu blaulich hervorgingen, und zu dichte aneinander standen. Schleift man dieses Blendwerk ab, so kommt es nimmermehr zum Vorschein. – Der Damast auf den Klingen wird auch dadurch hervorgebracht, dass man dieselben mit altem eisernem Draht auf die Klingenoberflächen Stückchen Silbers legt. Wenn dieses geschehen ist, kommen sie in das Feuer und werden glühend gemacht, und dann, wenn sie gehärtet sind, wird der Draht weggenommen; wo denn die Klingen an jenen Orten, wo der Draht lag, weiss hervorgehen.“
Peter Knecht – Erfinder des feinen Solinger Damastes im Jahre 1821:
Ob dann Peter Knecht im Alter von 23 Jahren bzw. im Jahre 1821 die „ersten feinen Damaste“ erfunden hat und möglicherweise als Initiant des Solinger „Klingen-Damast-Zeitalters“ angesehen werden kann, bleibt aufgrund weiterer Quellen zu überprüfen. Es stellt sich auch noch die Frage, was mit den „ersten feinen Damaste“ des folgenden Hinweises gemeint sein könnte.
1861: „Einer uns vorliegenden handschriftlichen Mitteilung des Herrn Peter Knecht zufolge hat dieser umsichtige, strebsame Fabrikant im Jahre 1821 die ersten feinen Damaste erfunden und nach und nach den Solinger Damast verbessert, der jetzt von mehreren Häusern in grosser Vollendung geliefert wird.“
In Rudolf Cronau Publikation findet sich folgende Bemerkungen: „Ferner verbesserte er (RiR: Peter Knecht) den sog. "Solinger Damast", ... - Solinger Damastklingen von hoher Vollendung befanden sich in den vierziger und fünfziger Jahren auf allen bedeutenden Ausstellungen, ...“
Anscheinend finden sich erst im Verlaufe des 2. Viertels des 19. Jhd. vermehrt und insbesondere ab dem letzen Viertel des 19. Jhd. häufig Solinger Blankwaffen mit Schweissverbund-Musterklingen.
Grüsse
Richard R.