@SEAL_6:
Ich bin mal so frei: Micha, wir VISIERler werden in die Richtung "Bauernopfer sind nötig" sicher nicht argumentieren!
@alle:
Es gibt ÜBERHAUPT keinen Grund für Beschränkungen im Messerbereich!!!!
Schauen wir's uns doch mal genauer an:
Das Verbot der Wurfsterne. Sind ja angeblich so gefährlich. Ach ja? Was passiert, wenn ich damit auf etwas werfe? Ich erinnere mich an einen praktischen Versuch aus meiner Sturm- und Drangzeit, als Ziel diente der Kuhstall vom Nachbarbauern. Die erste ins Ziel eindringende Zacke wird sofort abgebremst, sobald die nächste oder die nächsten beiden Zacken aufsetzen. Der Stern wird nie die Wucht haben, die ein Stoß mit dem Dolch hätte.
Zum nächsten: Wie viele Straftaten mit derlei sind belegt und wieviele davon sind tatsächlich "wurfsterntypisch", wären also nicht mit anderem Gerät vorstellbar? Antwort: Limes gegen null! Fazit: Finstere Anlaßgesetzgebung, gesteuert & ausgelöst durch den behördlichen Konsum von zu viel Hongkong-Filmen, aber nicht gestüzt auf eine reale Gefahr. Was kommt als nächstes? Kreissägenblätter?
Einschränkungen im Bereich Springer/Fallmesser/Balisongs: Auch hier handelt es sich um Anlaßgesetzgebung; diesmal waren ausgerechnet die Amis die Vorreiter. Im Land der Freien und der Heimat der Tapferen galten in den 1950er Jahren billige, im Design historischen Klappmessern aus Chatellerault und Sheffield nachempfundene Springer mit dem Knopf-Auslöser des alten George Schrade als das böse Gerät. Auch hier resultierte das aus dem Konsum zu vieler Hollywood-Filme à la "The Wild One" mit Marlon Brando; die rebellische Lederjacken- und Jeans-Jugend führt naturalmente IMMER ein Springmesser, da muss sich ja das Establishement wehren ...
Hinzu kommt bei alldem ein weiteres Problem: Was passiert mit dem sicher in Millionenhöhe liegenden ALTBESTAND? Zahlen die Behörden dafür Ausgleich? (Ja natürlich - oder glaubt ihr etwa nicht an den Klapperstorch?) NEIN. Der ordnungsbewußte Bürger möge (obwohl keiner Schuld oder Missetat bewußt) seinen Altbestand abliefern, auf dass ihn Metallpressen zu Schrott verwandeln.
Außerdem: Wieviele unbescholtene Bürger würden durch eine solche Verschärfung unwisssentlich kriminalisiert, einfach, weil sie nicht ihren Feierabend mit der Lektüre absichtlich verquaster und unverständlicher Gesetzestexte verbringen & so die Neuregelungen einfach verpassen?
In breve: Solche Verbote verhindern in praxi KEINE Straftaten aus dem Affekt heraus. Merke: Wenn Messer für Offizialdelikte eingesetzt werden, sind es meist solche emotionsgebundenen Spontan-Vergehen, keine kühl geplanten Morde. Weswegen US-Detektives schon vor Jahrzehnten für drückend-schwüles Wetter den Begriff "Brotmesser-Wetter" geprägt haben - weil dann die Emotionen hochkochen und im schlimmsten Fall das benutzt wird, was grad zur Hand ist. Merke auch: Taten im Affekt haben etwas mit den Emotionen zu tun und nicht mit der Art der dabei benutzten Gegenstände. Merke als nächstes: Ein generelles Verbot nutzt prinzipiell nix, der Täter greift, was zur Hand ist. Ist es ein Backstein, nimmt er einen Backstein. Ersetze Backstein und füge ein: Aschenbecher, Brieföffner, Schere, Glasflasche, Bügeleisen, Besenstil, Stuhlbein, Hammer... Alles verbieten?
Hierzu ein Vergleich: Nehmen wir Adam und Eva und den Baum der Erkenntnis. Wie hätte ein Ministerialbeamter darauf reagiert? Er hätte den Baum der Erkenntnis einfach umgehauen!
Jugendliche und Messer. Es gibt fraglos einige Messerarten, die bei den Kids beliebter sind als bei Erwachsenen. Fragt sich warum. Springern und Balis haftet demnach der Touch des Verrucht-Rebellischen an; das ist etwas, das die Soziologen seit "West Side Story" "Denn sie wissen nicht, was sie tun" und "The Wild one" wissen. Ja, aber das sind doch Kinofilme und Musicals? Eben: Seit es das in den 50er Jahren erstmals aufgetretene Phänomen der Jugendkultur gibt, lassen sich die Nachwüchsigen von Leitbildern aus Hollywood etc. leiten. Und so wie in den 50er Jahren Pachuco-Frisuren, Amihosen, Lederblousons und Rock'n Roll in Mode kam, so gehörte dazu halt auch der Italo-Springer als Symbol des jugendlichen Rebellen. Mehr war es meistens nicht - eben ein Symbol.
Aber das schien gefährlich genug, um gleich Rundum-Verbote durchzusetzen; das erste war der US-Switchblade-Act von 1958 (kann auch 'n Jahr früher oder später gewesen sein).
Wie damit umgehen?
ad 1) Erstmal VERSTEHEN, WARUM der Sohnemann oder die Tochter glaubt, so etwas mit sich herumtragen zu müssen.
ad 2) Fallen Argumente wie "bei uns in der Penne notwendig", spitze man die Lehrer an: Dann stimmt tatsächlich etwas nicht. Aber das hat nichts damit zu tun, dass es diese Messerarten gibt, sondern eher damit, welche Zustände herrschen.
ad 3) Das Klima in Schulen IST seit gut anderthalb Jahrzehnten viel ruppiger als früher, weiß ich noch, als ich Schwererziehbare unterrichtet habe. Das Hauptproblem lag aber nicht in der Verfügbarkeit der Messer, sondern in den teilweise entsetzlich armen (und bei den Begüterten: kalten) Lebensverhältnisssen, unter denen diese armen Würstchen groß geworden sind. Eine Schule kann dies nicht ausglichen. Sie muss sich daher schützen, ggf. das Mitbringen von Messern verbieten und ggf. auch entsprechende Sanktionen (Dispens, Relegation) verhängen dürfen. Es würde ja auch fruchten, wenn dann die ansonsten ihren Kids gegenüber völlig nachsichtigen oder gar gleichgültigen parents nicht angerannt kämen und herumschrillen würden: "Das geht nicht! Ich zerr Sie vor Gericht ! Doch nicht mein Kind..." Anstatt mal dafür zu sorgen, dass "mein Kind" den Unterschied zwischen "richtig" und "falsch" kapiert und man sich selber fragt, was man hat schleifen lassen.
Merke: All dies beginnt im Elternhaus, all dies berührt zuallererst soziale Probleme und keine gegenständlichen.
All dies rechtfertigt NICHT, irgendetwas generell zu verbieten. Es nutzt auch nichts. Es würde die Dinge für Jugendliche nur noch begehrenswerter machen (Motto: "Der/die traut sich was").
GANZ WICHTIG: Der umgekehrte Schluss lautet so, dass man einem gefestigten Jugendlichen getrost ein Messer mitgeben kann, ohne dass er damit Fisimatenten macht.
Völlig aberwitzig wird aber ein Gesetzesvorhaben, wenn es in einer Demokratie von "Privilegien" redet. Frage: Wer ist denn für deren Zuteilung erforderlich? Der Gesetzgeber? Der vertritt das Volk, auch in einer repräsentativen Demokratie. Und waren Privilegien nicht immer etwas, das von besonderen Vorleistungen gegenüber einem Herrscher abhängig waren?
VERBOTE dieser Art gleichen dem Bekämpfen von Symptomen, nicht aber dem Kurieren der Krankheitsursache!
Daher gibt es folgende Ablaufkette:
Gegenstand A gerät als angeblich böse ins Behördenvisier.
Es folgt ein Verbot.
Die Betroffenen ignorieren das Verbot oder greifen zu Gegenstand B.
Der gerät als angeblich böse ins Behördenvisier.
Es folgt ein Verbot.
Die Betroffenen ignorieren das Verbot oder greifen zu Gegenstand C ...
Und so weiter, und so weiter.
Noch mal: Das ist ANLASSGESETZGEBUNG, die ihre Begründung nicht aus logischen und stichhaltig überprüfbaren Ursachen herleiten kann. Man erkennt das ganz einfach daran, dass nach einem Verbot die Missetaten nicht abnehmen, sondern sich nur die Wahl der dabei genutzten Mittel ändert.
Daher der logische Schluß: Vorschriften machen nur als letztes Mittel Sinn, wenn sie nachweislich etwas bewirken werden. Hier sei als positives Beispiel etwa die PKW-Gurtpflicht genannt, die allem Anschein nach tatsächlich die harten Unfallschäden mindern konnte (auch wenn sie andere Verletzungsarten nach sich zieht -- doch das Fass mach' ich jetzt nicht auf.) Nutzt eine Vorschrift nix, gehört sie abgeschafft. Das gleiche gilt für Verbote und Restriktionen, die nicht das Kernproblem berühren, sondern nur zu Symptomveränderungen führen.
Daher hier das Dictum Recktenwaldis: Wenn ein Verbot von vornherein nutzlos erscheint, wenn es nur aus populistischen und ideologiegeprägten Motiven erfolgt, dann ist das BETRUG AM WÄHLER.
Deswegen bin ich gegen jedwede Einschränkung im Messerbereich. Bauernopfer ziehen m.E. nur weitere Bauernopfer nach sich, vor allem solche, die man von vornherein bereit ist zu erbringen.
Ich akzeptiere lediglich, dass Minderjährige EINIGEN Trage-Restriktionen unterworfen sein müssen.
Zum Tragen/Führen: Es gibt halbwegs klare Regelungen zum Führen von Messern; die Schweizer z.B. haben das mit ihrer neuen, verbesserten Regelung halbwegs gut hingekriegt, indem man darauf schaut, in welcher Situation der Messerfan mit seinem Lieblingsschnippler angetroffen wurde. In Wald und Flur, beim Camping und Kajacken ist ein Messer am Mann demnach legitim, im Stadion, in der Disco oder in der Oper eher weniger. Sicher gibt es auch Grenzfälle ...
So genug des Epos'.
Und danke für Eure Geduld.
Matthias Recktenwald