Noch mal zum Irrtum: Auch Rechtsirrtümer können Tatbestandsirrtümer sein. Das ist wie oben bereits erwähnt beim Führen eienr Schreckschusswaffe (SSW) dann der Fall, wenn man zwar weiß, dass man eine SSW führt, aber nicht weiß, dass man dafür eine Erlaubnis braucht.
So verhält es sich auch, wenn man weiß, dass man ein Haus baut, aber einem unbekannt ist, dass man eine Baugenehmigung braucht (Rathjen, ZfBR 2000, S. 389).
Warum soll es sich dann anders verhalten, wenn man statt dem "Mehr" einer Genehmigung nur ein "Weniger", nämlich eine Sozialadequanz braucht?
Der § 53 WaffG ist ja eine Blankettnorm. Verkürzt zusammengefasst würde der Tatbestand lauten:
Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig ohne berechtigtes Interesse eine Anscheinswaffe, eine dort genannte Hieb- oder Stoßwaffe oder ein dort genanntes Messer führt.
Das mit dem "üblich oder geschichtlich gewachsen" hat das OLG der sog. Lehre von der Sozialadequanz aus dem Strafrecht entnommen. Danach sollen bestimmte Handlungen, die eigentlich geahndet werden müssen aber sozialadequat sind, bereits nicht tatbestandlich sein. Dies wird zu recht sehr eng ausgelegt, eröffnet es doch sonst den Strafverfolgungsbehörden und Richtern einen mit dem Legalitätsprinzip nicht vereinbaren Spielraum, abweichend vom Gesetz bestimmte Verhaltensweisen für nicht strafwürdig zu erklären. Was strafbar sein soll und was nicht ist aber immer noch sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. Auch wenn das Gesetze Mist sind (wie so oft) hat ein Richter das gefälligst anzuwenden.
Auch dies lässt sich aber nicht übertragen auf das Messerführverbot. Denn dort wird nicht eine ungeschriebene Lehre von der Sozialadequanz angewandt, sondern dies steht so explizit im Gesetz. Deswegen kann man hier mit der Anwendung großzügiger sein. Zudem hat pitter ja bereits richtig festgestellt, dass die Ausnahmetatbestände nicht abschließend zu verstehen sind.
Das OLG verdreht auch den Willen des Gesetzgebers, wenn es sagt, dass die unter § 42a WaffG fallenden Messer geächtet werden sollen. Dies haben die Politiker nur auf die Softair-Plempen bezogen die zu gefährlichen Situationen führen können, wenn die Polizei nicht sicher ist, ob die Anscheinswaffe echt ist oder nicht. Das aber jetzt z.B. ein > 12 cm Brotmesser geächtet werden soll hat niemand behauptet.
Versteht man das berechtigte Interesse wie das OLG als "üblich oder geschichtlich gewachsen", so werden sich Fälle wie der nachfolgende, damals nicht ganz ernst gemeinte, tatsächlich einstellen:
Katana 01/2008 schrieb:
Auf jeden Fall bin ich gespannt auf die ersten Musterprozesse, in denen ein Ausländerbeauftragter den Türkenjungen, dem sein Messer abgenommen wurde, vertritt und vom Gericht feststellen läßt, daß Messer zu tragen dort zur Kultur gehört wie beim Bayern der Nicker in der Lederhose. Und der Polizist hätte das Messer nicht konfiszieren dürfen und ist jetzt der Böse und bekommt Probleme.
In GB darf man z.B. einen Dolch (
Kirpan) führen, wenn man der
Sikh-Religion angehört. Selbiges dürfte wegen der Religionsfreiheit auch in Deutschland gelten.