Servus,
Aber eine grobe Einschätzung der Art "seit ich mit Schleifturm und Druckkontrolle schleife, bleiben meine Messer 10%/50%/100% länger scharf" wäre doch schonmal ein Anhaltspunkt.
die Wirkung einer Druckkontrolle ist vergleichbar mit der Wahrnehmung von Foodrelease. Er ist da, wird aber unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert. Bei beiden sind die Umstände des Anwenders und alle Faktoren die zusammenspielen bzw. notwendig sind, so vielfältig, das ein Ergebnis in Prozentpunkten nicht valide übertragbar ist. Man muss auch zwischen einem geführten Schliff und einer Druckentlastung unterscheiden. Bei hochgradig dünn ausgeschliffenen Klingen kommt es, je dünner und feiner die Schneidenspitze durch immer höhere Progression wird, zu plastischer Verformung der Schneidenspitze, wenn Druck auf diese beim Schleifen ausgeübt wird. In manchen Fällen reicht bereits das Eigengewicht des Messers, wenn das ein solides großes Kochmesser ist. Mit der Druckentlastung wird das aufgehoben. Das Messer, waagrecht austariert "schwebt" mit einigen wenigen Gramm Auflagedruck über dem Stein. Die Schneidfase wird je nach Korn dadurch riefenfrei poliert und völlig geschlossen. Die Dicke der Schneidenspitze ist durch die gleichmässige Winkelführung weitgehend homogen, kein seitlicher Overgrind durch übermäßigen Druck im Bewegungsablauf, durch die Druckentlastung. Das Ergebnis ist eine Schneidenspitze, die praktisch frei von Fehlstellen ist und daher nicht frühzeitig stellenweise versagt, sondern gleichmässig über die benutzte Schneidenspitze zu einer Parabel abstumpft. Dies stellt das Optimum einer durch kluge Aufbereitung manipulierten Schneide dar. Die Schneide verbraucht sich homogen, stumpft also ohne frühzeitiges und stellenweises Versagen gleichmässig ab. Bei Seilschnittwettbewerben, die ja eine Schneide monothematisch belasten, halten so perfekt aufbereitete Schneiden am längsten durch. In der realen Gebrauchswelt im Wald, mit hacken und Batonen, graben und schnitzen und allen anfallenden Arbeiten, lässt sich die Wirkung durch die vielseitige Belastung nicht vergleichend bestimmen und die Schneide wird trotz penibler Aufbereitung schneller an ihre Grenze zum Versagen kommen, als eine die monothematisch und schnitttechnisch korrekt einer weitgehend homogenen Belastung ausgesetzt ist. In welchem Grade die letzten Meter einer "Schneidenaufbereitungsorgie" die Druckentlastung ihre Wirkung ausspielt ist daher an Umstände gekoppelt, die nicht so einfach übertragbar und daher auch nicht wirklich mit Zahlen nachweisbar belegbar sind.
Ein fette Wate mit derben Winkel, da ist eine Druckentlastung aus meiner Sicht sinnfrei, hingegen eine geführte Winkelkontrolle nicht. Ein "Schleifturm" lebt ja nicht nur von der Druckentlastung, das ist ein zusätzliches Feature, aber nicht die funktionelle Basis. Der Sinn liegt in der freien Wahl des Schleifwinkels, der Reproduzierbarkeit des selbigen, der freien Wahl aller Schleifmittel in Steinform und das wichtigste, der Winkel wird stabil gehalten, der Anwender führt die Schneide nur über den Stein und braucht keine Aufmerksamkeit auf den gehaltenen Winkel verschwenden. Nur wenn's zu Kurve Richtung Spitze geht, muss durch anheben der Kurvenradius angeglichen werden, das übt sich aber ein und muss ja auch freihand gemacht werden. Das ein eingestellter Winkel reproduzierbar ist, muss nicht extra erwähnt werden. Ich kenne User, die notieren sich den Winkel pro Messer in einem Heft. Ein Beispiel: Grundschliff mit 16° Schleifwinkel sauber abgeschlossen und einsatzbereit. Erster Touch-up mit feinem Stein einen halben Grad stumpfer gestellt erzeugt eine kontrollierte und homogen bis in die Schneidenspitze durchgeschliffene Mikrofase und entfernt die beginnende Parabel wieder. Der Materialabrieb ist extrem gering. Ich wüsste nicht, wie man das noch exakter, präziser, reproduzierbarer und mit geringerem Verschleiß besser machen könnte.
Das soll jetzt nicht heißen, das diese Methode zwingend ist, nur weil sie theoretisch die nachweislich "beste" ist. Auch hat diese Art zu schleifen, nichts mit "besserer" Schärfe zu tun. Schärfen ist nicht das primäre Ziel, sondern eine möglichst optimal gestaltete Schneidfase, dessen primäre Leistung in der Stabilität und Haltbarkeit liegt, eben durch ausschalten jener Faktoren, die an der Schneide zu verfrühtem versagen führen können. Erst der Anwender bestimmt am Ende durch sein Handeln, ob so eine Schneide stabil bleibt oder versagt, je nach dem was ihr zugemutet wird. Jede Schneide kann ich zum versagen bringen. Schärfe stellt sich beim "Turmschleifen" von selbst ein, wenn alles beachtet wird, was beachtet werden soll. Die gradgenaue Justierung erzwingt es geradezu, die Schneide durchzuschleifen und die Spitze voll zu treffen. Wenn der Grataufwurf dann noch korrekt entfernt wird, die Progression passt, die Steine offen, scharf und sauber sind ( keine Kornverschleppung in die nächsthöhere Progression passiert ), dann kommt man mit immer höher gesteigerter Progression irgendwann zum beginnenden Haarespalten und in die höchsten HHT-Grenzen. Das ist, wenn man alles richtig macht praktisch gar nicht vermeidbar.

Nur ist es sinnlos, weil diese Schärfe keine Dauer hat, in Küche und Wald. Hier reicht es auf eine selbst bestimmte Schneidenqualität/Schärfe abzuzielen.
Braucht man das jetzt? Als normaler Anwender in Küche und Natur natürlich nicht. Wozu auch? Es gibt genügt Könner, die schleifen/schärfen ihr Zeug simpel und gut und ausreichend mit einfachen Mitteln. Verfolgt man aber andere Ziele, wie so viele Mahlzeiten wie möglich zu schaffen, bevor die Schneide nachgibt, oder so viele Seile als möglich zu schneiden, oder eine Schneide so zu präparieren, das, der richtige Stahl und WB vorausgesetzt ewig lange damit im privaten Bereiche gearbeitet werden kann, oder das brüchige japanische Messer soll umgeschliffen und stabilisiert werden, so das es keine Risse bekommen kann, ja, dann ja, dann lohnt so ein Türmchen auch rational gesehen. Für einen Schleifnerd ist das sowieso ein muss und auch für alle die "dabei sein wollen" natürlich, auch ein wenig Prestige, eines zu haben und damit zu prahlen.

Der Mensch ist schwach und der Geltungsdrang stark.
Letztendlich verwende ich mein System zum ordentlichen Schneidenaufbau innerhalb eines Grundschliffes, oftmals nach Neukauf und Kontrolle einer fremd geschliffenen Schneide, zur Entfernung von Defektschichten und als Basis um danach eine gute Weile sorgenfrei wetzen zu können. Alles jetzt wenig aufregend und mehr praktikabel, nix Haare spalten oder hohe Progression, seltenst Druckkontrolle, zuletzt bei einem sehr dünnen japanischen Messer bei 8k Abzug, da wollte ich einfach den Druck weitgehend von der Schneidenspitze nehmen, ob das tatsächlich was gebracht hat, weiß ich nicht, aber da die Möglichkeit gegeben ist, habe ich sie auch genutzt.
Wenn das Grundinteresse vorhanden ist und die private Situation eine solche Ausgabe erlaubt, dann einfach mal ausprobieren und sich selbst ein Bild davon machen, was geht. Wenn man nicht überzeugt ist, dann kann man es ja wieder verkaufen. Oft ist das persönliche erleben und Ergebnisse die es davor so nicht gegeben hat, schon genug um den Kauf nicht zu bereuen.

Auch ich habe mich schonmal mit dem Gedanken getragen, mein System wieder zu verkaufen, aber es dann doch nicht geschafft mich davon zu trennen.
Gruß, güNef