Herder 1922 - die Legende lebt

Es sind jetzt 6 Monate vergangen, seitdem das große Herder 1922 hier ankam.

An meiner Hauptleiste sind mittlerer Weile die gängigen „Grundtypen“ an Kochmessern versammelt und genutzt - so kann ich für mich ein vorläufiges Resümee ziehen.

Da ich jahrelang Kai Shun Classic im Einsatz hatte, weiss ich, dass empfindliche Messer den Kampfgeist der besten aller Ehefrauen nicht überleben und auch ich bin eher kein typischer japanischer Ziehschnittvirtuose.

Micha aka knifeaddict hegt zwar Zweifel daran, aber ich habe erst vorgestern alle 3 Office VG10 zum x-ten Mal von Microausbrüchen befreit. Die waren nicht gefühlt, sonder bei 160-facher Vergrößerung eher wie Zahnlücken groß.

Daher kommen das Orca als Laser, das Mazaki als Workhorse erst gar nicht in die Hände meiner hübscheren Hälfte und ich selbst unterlasse den sorglosen Arbeitseinsatz. Das Böker Cottage und mein Volldamast Bunka von Sören im Vergleich zueinander schneiden ähnlich leicht und stabil. Das Böker zeigt keine Rostflecken mehr, seitdem ich die Klinge vollständig aus- und überschliffen habe. Beides sehr ordentliche Messer. Hierzu später.

Das Lucien Sandvik mit S- Grind empfinde ich als das bessere Herder K, der 14C28N zeigt bei meiner Handhabung keine signifikanten Vorteile - der foodrelease ist in einigen Belangen jedoch erheblich besser.

Der Carbon Bob kommt leider nicht regelmäßig zum Einsatz, ich mag dieses Messer sehr, jedoch ist die Größe meist overkill, hier müsste ich mich zu einem häufigeren Einsatz vergleichbar den Herden überwinden. Patina bleibt halt auch Thema.

Koche ich für 6-8 Personen, also für Gäste, bin ich mit der Zubereitung und dem Zeitplan derart beschäftigt, dass ich praktisch immer zu den rostfreien Herder K greife, die ich einigermaßen sorglos handhaben kann. Aus meiner Sicht werden diese berechtigt als Empfehlung zum Einstieg in den leichten Schnitt empfohlen.

Beide K-Messer, das Orca, der Lucien und auch das Mazaki im unteren Bereich, sind wohl alle leicht schneidend, aber bewirken bei mir unbewußt eine zurückhaltende Handhabung eben wegen der dünnen Materialstärke im Bereich der Fase und darüber, die ich beim Schneiden auch so wahrnehme. Wobei Orca und Mazaki hier für mich die Grenzen eines daily Einsatzes klar überschreiten.

Bei den anderen 3 Klingen wechsel ich in der Regel, wenn das Schnittgut deutlich zäh wird (z.B. Speck)

Der Volldamast und das Cottage sind beide knapp unter 0.3mm hinter der Wate, aber das leicht ballige Cottage schneidet “angenehmer“ im Vergleich zu Sörens Vollflachschliff. Mir genügt generell dieser Grad an leichtem Schnitt zum Arbeiten, es ist aber merklich weniger als bei den übrigen. Auch sind bei mir alle Messer stets scharf und werden eigentlich nie bis zu einem wirklichen Abstumpfen benutzt, wodurch sich vieles relativiert. Solche Mengen muss ich am Stück einfach nicht verarbeiten, dass Standzeit ein Thema wird.

Mit der Patina an den 1922 habe ich inzwischen zumindest einen Waffenstillstand geschlossen. Seitdem sind beide regelmäßig im Einsatz, sogar häufiger als die K-Serie inzwischen. Weil.

Die 1922er empfinde ich unglaublich robust beim Schneiden, der starke Rücken mit balligem Schliff ist für mich die bevorzugte Klinge, zumal beide sehr scharf werden, leicht nagelgängig sind und ich keinerlei Manko bezüglich des leichten Schnitts empfinde.

Ich kann das drehen und wenden, wie ich will - die Herder 1922 sind meine Lieblingsmesser.

Also ganz klar,

in meinem Küchenhimmel schneiden 3 Herder 1922 das göttliche Manna - in Sandvik 14C28N 60/61 HRC auf der CNC von Rockstead auf balligen Dünnschliff gefräst.

grüsse, pebe


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Sehr schöner Erfahrungsbericht, das Lesen hat Spaß gemacht und inspiriert, endlich doch einmal das Kochmesserprojekt anzugehen - vielen Dank dafür! :super:

Gruß
Matthias
 
@pebe Es gab hier vor ein paar Jahren schon einmal die VG10 - Ausbrüche Diskussion . Ich kann ja immer nur meine persönlichen Erfahrungen da einbringen.
Natürlich glaube ich dir...es besteht ja auch kein Grund das anzuzweifeln....hast ja genug Shuns im gebrauch.
Allerdings bleibe ich dabei....stabile Fase und man hat eigentlich Ruhe...

Danke für deinen Bericht

Gruss

Micha
 
@knifeaddict

Ich denke, dass liegt an unserem Haushalt bzw deren User. Vermutlich würde es ohne Restriktionen bei den anderen Japanern nicht anders aussehen.

Die Solinger haben aber durch die Bank nix.

grüsse, pebe
 
Servus,

zur Herder habe ich nach wie vor ein ambivalentes Verhältnis. Zum Einen sind die Messer unglaublich gut, zum Anderen ist die Konstanz der Qualitätskontrolle fragwürdig. Bukowski hat das nahezu perfekt mit einem Satz auf den Punkt gebracht: "Mal gewinnst du, mal verlierst du" :D

Wenn du gewinnst, hast du ein super Kochmesser, mehr braucht es eigentlich nicht.

Herder hatte mal ein wirklich extrem ambitioniertes Portfolio an Modellen und Griffhölzern, das sogar sammeln Spaß gemacht hat. Und Meister Fehrekampf, der 2011 verstorben ist hat als "letzter seines Standes" seinen Teil zum "Mythos Dünnschliff mit Blaupließten" beigetragen


Es gab früher Modelle die ich heute gerne gehabt hätte, genau so wie absolute Nieten.

Das legendärste alle Herder war und ist das " goldene Zwanziger"

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Meines Wissen hat woka eines dieser seltenen Kleinode, ich hatte das mal bei einem Treffen in der Hand. Der Schmalkropf verdient diese Bezeichnung auch wirklich, er ist deutlich eleganter als der Kropf vom 1922er.

Wer mehr über Herder wissen will, sollte die Beiträge im GSV von Rübennase lesen und die Bilder seiner Sammlung anschauen. Ein Link in ein deutschsprachiges, themengleiches Forum ist hier nicht erwünscht, also bitte selber suchen, es loht sich. :super:

Ich bin froh, endlich ein anständiges 1922 in Nuss bekommen zu haben, hätte aber gerne je ein rostträges und rostfähiges noch Original aus der Ära Fehrekampf gehabt, das wäre ein Träumchen.

Gruß, güNef
 
Freue Dich, ein 1922 bekommen zu haben, mitlerweile sind die kaum noch zu bekommen, egal, wieviel geld man locker macht. In den meisten geschäften sind diese messer nicht lieferbar auf unbestimmte zeit.
Nach einem messer aus der Ära Fehrekamp kannst Du sehr lange suchen. Wer sowas hat, wird es wohl kaum herausrücken.
 
Sehr schöner Beitrag, güNef. Vielen Dank dafür.

Aus Sicht des Sammlers und Liebhabers guter Klingen, wäre natürlich ein solch seltenes Messer ein absolutes Highlight.

Während die eine Seite meines Messer-Januskopfes die Einzigartigkeit handwerklicher Tradition und Könnens bewundert - und auch kauft, wäre die andere, praktische Seite mit einer präzisen CNC Kopie eines besondes gelungen Originals durchaus hochzufrieden.

Gerade das angeführte Rockstead Unternehmen zeigt ja, wie eine konkret berechnete konvexe Geometrie präzise und perfekt hergestellt werden kann.

Dass es auch heute noch Messerhandwerker gibt, bei denen durch CNC nix merklich verbesserbar ist, zeigen auch die Klapper Arbeiten von Raphel Stach - nur fürchte ich, dass diese Qualität im Hause Herder nicht mehr erreicht wird..

grüsse, pebe
 
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Für mich ist das Unternehmen und insbesondere die 1922er-Serie Inbegriff und gleichzeitig letztes Überbleibsel ernstzunehmenden Solinger Kochmesserhandwerks, das es aus meiner Sicht zu unterstützen gilt. Als Messerliebhaber hege ich ein tiefes Gefühl der Verbundenheit für diese Firma, das mich teilweise auch befangen werden lässt ;)

Mit der Ästhetik eines Solinger Schmalkropf-Kochmessers, den Messing-Nieten, der patinierten bauchigen Klinge, der geschwungenen Linie des Griffes, der Maserung der heimischen Holzgriffschalen etc. kann in meinen Augen nur noch ein japanisches Gyuto mit rostender Dreilagen-Klinge, Kurouchi, Büffelhorn und gebrannter Kastanie o.ä. mithalten.

Gleichzeitig sind die Herder-Messer aufgrund ihrer Verbreitung auch eine Art Benchmark geworden, an denen sich andere Schneidwaren messen lassen müssen – und oftmals scheitern.

Wo wären wir auf dem europäischen Kochmessermarkt ohne Herder? :)
 
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Lieber @güNef,

leider besitze ich nicht ein "Goldenes Zwanziger", aber tatsächlich habe ich ein älteres Exemplar über das ich mich mal ausführlich informieren sollte :)
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LG
woka

P.S.: Falls sich jemand von einem nagelgängigen 1922 verabschieden möchte, der kann mich jederzeit gerne kontaktieren :steirer:
 
Hallo zusammen,
habe beim e.. Kleinanzeigen Stöbern was für Euch gefunden:
Windmuehlenmesser 1922 tranchelard walnuss carbon neu.
Der Anbieter hat wohl mehrere Messer, die evtl. für den Einen oder Anderen interessant sind.
Ich selber kenne den Verkäufer nicht! Kann auch keine Aussagen machen, ob die Preise ok sind.
Kann ja jeder selber entscheiden.
Vielleicht hilft der Hinweis ja.
Gruß Beate
 
Die Herder 1922er umgibt ein gewisser Nimbus angefangen vom Review aus 5 Blickwinkeln bis zu dieser äußerst interessanten Diskussion. Ich ärgere mich sehr, daß ich nicht zu Zeiten als es das Messer noch in großer Anzahl für 109€ gab, eines gekauft habe. Damals hat mich der Kropf abgehalten.
Meine Frage ist, was die Faszination dieses Messers ausmacht, wohl die Kombination aus leichtem Schnitt und Robustheit. Ich vermute dies liegt zumindest zum großen Teil am speziellen Schliff. Wenn man die von GüNef genannten Stichworte nutzt, findet man eine Doku von 2008 in der Wilfried Fehrekampf selbst den Schliff vorführt. Bei diesem Kesselschen Walkschliff hält er den Rohling in einer hölzernen Lehre. Hinter dem bewässerten Schleifrad von ca. 1 bis 1,5 m Durchmesser befindet sich eine Schiene in der ein Hebel läuft. Dieser Hebel versetzt die Lehre in eine Wankbewegung, das Messer wankt um eine Achse von der Schneidenspitze bis zum Griff. Zum Schleifen gibt es ein Fußpedal, welches Lehre und Rohling an die Schleifscheibe drückt. D.h. Die Lage des Rohlings in der Lehre bestimmt die Lage der größten Dicke der Schneide. Alles andere liegt im Gefühl oder besser der Kunstfertigkeit des Schleifers. Bei Meister Fehrekampf sieht es spielerisch aus, wie er Nagelgängigkeit und Schliff prüft. Dies ist aber sicherlich das Ergebnis von langer Erfahrung und viel Fingerspitzengefühl. Bei dieser Klingenlänge wundert mich nicht, daß nicht jeder den Fehrekampf angelernt hat, dies auch nur annähernd gut beherrscht. Dies erklärt auch warum bei Herder wohl nur ein Mitarbeiter diesen Schliff noch beherrscht.
Daher finde ich die Idee eine optimale Fehrekampf Klinge über CNC zu reproduzieren faszinierend. Dies würde es erlauben die komplexe Geometrie über die ganze Klinge zu reproduzieren. Würde das Messer damit an Charakter und Seele verlieren? Eigentlich ja, es wäre schöner wenn es noch einen würdigen Nachfolger des legendären Meisters geben würde. Dies scheint aber augenblicklich ein Wunsch zu bleiben.

Grüße

Michael
 
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Die Herder klingen, welche walk geschlifen sind, gibt es aus unbekannten gründen nur von herder. Bei herder selber ist festzustellen, das diverse messer nicht mehr blaugepließtet werden, nur noch feingeschliffen werden.
Wobei ich denke, so kompliziert kann es doch nicht sein, die schleifmaschine nachzubauen und per reversive energing die geheimnisse zu ergünden und klingen zu schleifen. Ich denke, der aufwand hält die hersteller davon ab, die kunden würden das bezahlen.
 
Die Herder klingen, welche walk geschlifen sind, gibt es aus unbekannten gründen nur von herder.
Ich kenne den Grund: Herder-Klingen kommen halt nur von Herder :irre:

Bei herder selber ist festzustellen, das diverse messer nicht mehr blaugepließtet werden, nur noch feingeschliffen werden.
Wenigstens Eigennamen sollte man richtig schreiben, schon aus Respekt. Es gibt also nach deiner Aussage noch Messer von Herder, die blaugeplißtet werden.

Wobei ich denke, so kompliziert kann es doch nicht sein, die schleifmaschine nachzubauen und per reversive energing die geheimnisse zu ergünden und klingen zu schleifen.
Dann ist diese Aussage wiederum unsinnig, da es ja keine Geheimnisse zu lüften gilt. Für Blaupließten braucht es kein "reverse engineering".

Ich denke, der aufwand hält die hersteller davon ab, die kunden würden das bezahlen.
Wichtig wäre, ob die Hersteller denken, daß die Kunden das bezahlen. Da sie es nicht machen, gibt es wohl einen Grund dafür. Wieso denkst du, daß Kunden diesen Mehraufwand bezahlen?
 
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Ich habe hier ebenfalls eine Herder 1922 zur vollsten Zufriedenheit - dies mal vorab.

Es ist aber nicht die einzige Klinge mit derartiger Geometrie. Ebenfalls gab es solche Klingen von der 'Konkurenz'. ich habe hier zwei Messer von F. Dick und eine französische - alles aus C-Stahl - die vom Anschliff vergleichbar sind. Alles für mich sehr gute Messer, die aus meiner Sicht hohe Schnittgüte mit Schnitthaltigkeit und Nachschärfbarkeit kombinieren. Das war mal üblich bevor rostträge Standard wurde....

Herder sind lediglich die letzten, die das noch aufrecht erhalten - wofür ich dankbar bin. Das Messer ist wirklich ein guter Kompromiss: nicht super-empfindlich wie einige japanische Slicer, aber dennoch hohe Schnittgüte. Das ist nicht trivial herzustellen - zumal ballig geschliffen.

... es ist schwer, heutzutage eine vergleichbare Klinge neu zu finden.
 
Ich hatte das Glück vor rund einem halben Jahr in Zürich noch ein grosses 1922er zu finden. Gebraucht wird seither entweder das 1922er oder ein 13cm Takamura Petty, d.h. ich könnte auf alle anderen Messer verzichten. Was mir am Heder am besten gefällt, ist die Grösse des Messers und dass es dadurch für fast alle Arbeiten gebraucht werden kann. Es ist zudem praktisch, da es mit einem Dick Micro lange scharf gehalten werden kann. Es sind einige Messer angeschafft und wieder verkauft worden - das Herder wird bleiben.
 
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