Interessanter Artikel zu Notwehr und Verhältnismäßigkeit

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Natürlich sind Einzelfälle Einzelfälle und man kann nichts verallgemeinern. Trotzdem finde ich die Gegenüberstellung solcher Urteile mit denen aus dem ersten Post dieses Threads sehr angebracht, denn dort wurde den Verurteilten grade aus (eventuellen) Fehlentscheidung in Sekundenbruchteilen und in einer Extremsituation ein Strick gedreht. Hier geht es um Entscheidungen, die im warmen Gerichtssaal, in aller Ruhe und mit Bedacht gefällt wurden. Da darf man mMn. nicht einfach sagen "Shit happens, auch Richter irren sich mal". Sowas muss dann zumindest an die Öffentlichkeit, damit Leute das zur Kenntnisnehmen und es ggf. in ihre politische Meinungsbildung mit einfließen lassen.
 
Auch wenn Medien das gerne schreiben, es gibt keine Verhältnissmäßigkeit in Fragen der Notwehr.

Unser Notwehrrecht ist schneidig (ist das nicht passend ;)), man muss dem Unrecht nicht weichen und kann höher einzuschätzende Rechtsgüter Angreifen wenn ein unrechtsmäßiger angriff auf ein eigenes Rechtsgut vorliegt.

Sprich wenn mich jemand ernsthaft körperlich angreift liegt ganz klar Notwehr vor wenn ich den Angreifer töte. Eine Verhältnissmäßigkeitsprüfung findet nicht statt, da sie schlicht im deutschen Recht nicht existent ist.
Das deutsche recht kennt lediglich den Notwehrexzess, welcher vorliegt wenn die erforderliche Verteidigung des Rechtsgutes ERHEBLICH überschritten wird. Das hat rechlich mit einer Verhältnissmäßigeitsprüfung eigendlich nichts zu tun.

Das Selbst Richter in Deutschland das anscheinend nicht schnallen steht auf einem anderen Blatt.
Dass man bei Berufung auf Notwehr erstmal immer die Arschkarte hat, weil Notwehr nur zum Tragen kommt wenn man ebend ein Rechtsgut verletzt hat, sprich sich in der Regel strafbar gemacht hat ebenso.
Darum hat im oben genannten Fall übrigens der BGH auch das Urteil nicht aufgehoben, weil es halt unstrittig war nur die Bewertung ob Notwehr vorliegt ebend nicht.

Gruß
El
 
Zuletzt bearbeitet:
Nun frag ich mal: Ich bin oft nachts in der S-Bahn unterwegs, als Sicherungsaufsicht, wenn die Gleise von Müll befreit werden. (Gleisreinigung in der Zugpause)
Ich sperre die Gleise damit niemand von bewegten Schienenfahrzeugen erfasst wird und hindere Unbefugte (Betrunkene) ggF am überqueren der Gleise.
Ich würde natürlich sofort , wenn ich solch eine Situation wie in Solln mitbekommen würde, handeln.
Ich würde bei zwei halbstarken Schlägern (ich bin eher ein Sportmuffe einn Luschil) entweder meine Arbeitskräfte (meistens zwei bis drei Türken oder Südosteuropäer )sofort mobilisieren und im mindesten die Bundespolizei rufen (zeitnah), oder,sollten meine Arbeitskräfte schon ausser Rufweite sein, würde ich den Baseballschläger aus meinem Auto holen und die A***löcher so gezielt auf den Kopf niederknüppel, das sie bestimmt mehrere Minuten lang auf dem Boden liegen . Nachtrag : wen die nicht liegenbleiben , oder mit dem ersten Schlag O.K: gehen hab ICH!!! ein Problem
Muss ich dan mit Strafverfolgung rechnen weil ich den Täter am ausüben einer Straftat gehindert habe oder muss ich dann blechen ???

(Ungeachtet der Antwort würde ich immer das imho Richtige tun und die Agressoren zu stoppen)
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch wenn Medien das gerne schreiben, es gibt keine Verhältnissmäßigkeit in Fragen der Notwehr.

Unser Notwehrrecht ist schneidig (ist das nicht passend ;)), man muss dem Unrecht nicht weichen und kann höher einzuschätzende Rechtsgüter Angreifen wenn ein unrechtsmäßiger angriff auf ein eigenes Rechtsgut vorliegt.

Sprich wenn mich jemand ernsthaft körperlich angreift liegt ganz klar Notwehr vor wenn ich den Angreifer töte.

Gruß
El

Die Aussage ist zum Teil für mich nachvollziehbar.

Aber wie kommst du darauf, dass eine Verhältnismäßigkeit im deutschen Rechtssystem nicht
existent sein sollte? (Art. 20 I GG; Prinzip der Rechtsstaatlichkeit)

Klar kann es vorkommen, dass man den Angreifer tötet, klar kann es
vorkommen, dass man ein höheres Rechtsgut verletzt. Deshalb handelst
du ja bei Notwehrüberschreitung auch nicht rechtswidrig.
Aber die Tötung des Angreifers ist es nicht und darauf kommt es
auch nicht an, sondern dass du mit den, der eingeschränkten Verhältniusmäßigkeit,
unterliegenden und dir in dem Moment zur Verfügung stehenden Mitteln,
den gegenwärtigen Angriff abwehrst. Mehr nicht. Und das kann die
Tötung beinhalten muss aber nicht und kann genauso gut eine
strafbare Handlung darstellen.
 
Da es ja bei dieser ganzen Diskussion meist um Jugendliche geht, wäre es vielleicht auch mal interessant die Meinung eines Jugendlichen zu hören. (Eine solche Meinung würde mich als Diskutant jedenfalls interessieren.)
Also, ich bin 18 Jahre alt und mache nächstes Jahr (wenn alles gut geht - was bis jetzt noch so aussieht) mein Abi. Mit 18 Jahren bezeichne ich mich durchaus noch als jugendlich, wobei ich eine Bezeichnung anhand der Messung des Lebensalters für ziemlich, naja, sagen wir mal fragwürdig halte (ist aber eine andere Diskussion). manche Leute sind auch mit 30 noch nicht als erwachsen anzusehen. Ich selbst habe auch immer Messer bei mir (entweder ein SAK oder ein Opinel).

Sorry für OT musste meiner Meinung aber mal gesagt werden.

So, nun zum eigentlichen Thema:
Für mich stellt sich so eine Situation ziemlich einfach da (ich weiß ehrlich gesagt nicht was daran immer so kompliziert gemacht werden muss):
Natürlich bin ich gegen Gewalt und hoffe auch nicht das ich in eine Situation komme in der ich mich körperlich verteidigen muss.

Wenn nun aber jemand kommt, der mir ans Leder will, kann ich wahrscheinlich nicht absehen wie das ganze endet. Mal angenommen es gibt keine Möglichkeit zur Flucht. In dem Fall muss ich mir anders helfen. Da ist es mir dann völlig egal, wie ich den Agressor kampfunfähig mache. Sei es mit einem Faustschlag, mit einem stabilen Stock den ich gerade finde, einem Stein,... wie auch immer.
Hauptsache ich überstehe das Ganze möglichst unbeschadet.

Meiner Meinung nach ist es völlig legitim sich zu verteidigen, wenn es nicht anders geht und daher sollte es auch gestattet sein, ohne das man selbst vom Opfer zum Täter gemacht wird.

Und das jemand nicht wisse das Stöße, Schläge, Tritte gegen den Kopf lebensbedrohlich seien... naja das kann ich beim besten Willen nicht ernst nehmen. Wenn dem so wäre, sollte man diese Leute zu einem Selbstversuch annimieren. Einmal mit voller Wucht gegen eine Wand rennen. Mal sehen ob die das bereitwillig machen oder ob sie nicht doch über ihre Gesundheit nachdenken würden.

Was in den beschriebenen Fällen geschildert wurde ist eine riesige S**erei und ich kann es wirklich nicht verstehen, wie man solche Täter so milde bestrafen kann. Diese Leute sollten richtig leiden (klingt hart, ich weiß)
Aber den Spruch mit den Deutschen Gerichten, der hohen See und Gottes Händen hatten wir ja bereits.

BTW: Wo wir gerade bei Gott sind, was solche Dinge (wie die hier beschriebenen Situationen) angeht :
Auge um Auge, Zahn um Zahn. (Wobei ich den originalen Kontext nicht wirklich kenne, dieses Zitat aber durchaus häufig in dem von mir angestrebten Zusammenhang genutzt wird.)

Vielleicht sind meine Ansichten auch einfach nur altmodisch.
Wer anderen Schaden zufügen will muss damit rechnen, das ihm in dieser Situation Schaden widerfährt.

Das ganze ist natürlich nur meiner Sicht der Dinge.
 
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Vielleicht sind meine Ansichten auch einfach nur altmodisch.
Wer anderen Schaden zufügen will muss damit rechnen, das ihm in dieser Situation Schaden widerfährt.

Das ganze ist natürlich nur meiner Sicht der Dinge.

Die ist klug. Ein ehemaliger Schulfreund von mir, Pfadfinder, lehnte seinerzeit Gewaltanwendung in jeder Form ab. Mit der Folge, dass ihm drei besoffene Vollspacken krankenhausreif geschlagen haben, Nierenquetschungen inklusive. Ist ewig her, aber ich kann mich noch gut erinnern, weil ich bei der Verhandlung dabei war.
  • Richter: Was haben sie genau gemacht
  • Angeklagter: Na, eine gehm (=fränkisch für gegeben)
  • Richter: Aber warum?
  • Angeklagter: Der hat Arschloch zu mir gesagt
  • Richter: Der hat was genau gesagt, haben Sie das gehört?
  • Angeklagter: Na, der hat halt was gsacht, hab Arschloch verstanden, und ihm dann eine gehm (edit: Das Opfer hatte gar nichts derartiges zum Angeklagten gesagt, das war bei allen Parteien unstrittig, auch beim Anwalt des Angeklagten, dem sein Mandant sichtlich peinlich war)
  • Richter. Und dann haben Sie ihm so eine gegeben, dass sie auf den Liegenden mit Turnschuhen so fest eingetreten haben, dass man das Profil auf der Haut sah und die Nieren gequetscht wurden?
  • Angeklagter: Ja ich sach doch, ich hab ihm eine gehm.

Einsicht Null, Bedauern Null. Erfolg war eine Haftstrafe (war schon vorbestraft) und ne saftige Geldstrafe an den Nürnberger Tiergarten, weil der Richter meinte, "so wie Sie verhalten sich nichtmal Tiere."

Ist 25 Jahre her, nur zu dem Thema, früher war alles besser und fairer. Bei solchen Jungs (und auch Mädels, sollte man nicht vergessen) gibts - ausser wegrennen - keine Deeskalation, keine Diskussion und schwer eine Resozialisation. Die haben mit 18 schon 18 Jahre Erfahrung, dass das einzige Mittel, seinen Willen durchzusetzen und Respekt zu erlangen eben ist, dem anderen "eine zu gehm".

Punkt. Da gibts nur - wegrennen - zusammenschlagen - zusammengeschlagen zu werden als Handlungsmöglichkeiten. Ob man das gut findet, oder nicht, wie die Rechtslage ist, oder wie sie nicht ist, oder wie sie verstanden wird, und was ein Richter meint - es bleiben genau diese drei Möglichkeiten.

Und ich sehe es ganz genau so, dass das ganze hinterher, also Anzeige, Verfahren, Bestrafung in solchen Fällen die Angreifer nicht bremst, weil sie sich im Moment gar keine Gedanken darüber machen. So sie überhaupt fähig sind, sich darüber Gedanken zu machen, und so es ihnen nicht sowieso vollkommen egal ist.

Entweder das wird auch dem friedliebensten Pazifisten mal klar. Und Gewalttäter müssen wissen, dass sie Gefahr laufen, eins auf die Mütze zu bekommen. Oder es passiert gar nichts. Weil es nicht möglich ist und auch nicht gewünscht sein kann, dass die Polizei immer und überall präsent ist und prophylaktisch alles tut, um alle möglichen Gefahrensituationen abzuwehren. Das kann nicht funktionieren. Täter müssen auf eine wehrhafte (auch im Kopf) und letztlich auch gewaltbereite Bevölkerung treffen. Oder wir lassen alles mit uns machen. Oder wir wollen einen Polizeistaat. Ich sehe da keine Alternative.

@siggi42. Es gibt bei Notwehr keine Verhältnismässigkeit, den Kirschkernfall ausgenommen. Soweit ichs recht in Erinnerung habe, sind in der Rechtsprechung Sachgüter über 50EUR notwehrfähig.

Beim Notwehrexzess werden ja schon die Grenzen der Notwehr überschritten, heisst, der gegenwärtige, rechtswidrige Angriff ist bereits abgewehrt. Das ist dann eben explizit auch keine Notwehr mehr.

Eine "Verhältnissmässigkeit" findet sich expressis verbis nur in StgB §34 zum "Rechtfertigenden Notstand"

IANAL, bitte um substantielle Korrektur durch einen Strafrechtler ;)

Pitter
 
Hallo Pitter,

bin jetzt zwar kein praktizierender Strafrechtler, habe das Ganze aber trotzdem mal gelernt und muß Dir deshalb zumindest teilweise widersprechen.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit liegt nahezu jedem rechtlich relevanten Handeln zugrunde, ganz speziell aber der Notwehr. Die Notwehr gibt einem Angegriffenen ausnahmsweise das Recht, Gewalt gegen andere anzuwenden und dabei auch fremde Rechtsgüter zu verletzen - ein Monopol, das i.Ü. grundsätzlich dem Staat vorbehalten ist. Daher ist besonders bei der Notwehr stets die Verhältnismäßigkeit zu beachten und zwar in jeder Phase. Das beginnt bspw. damit, daß eine Notwehrsituation schon fraglich wird, wenn das Opfer hätte weglaufen können. Kommt das Opfer nicht umhin, Gewalt anzuwenden, dann ist auch hier das mildeste Mittel zu wählen. Wenn ein Faustschlag genügt, dann wäre es unverhältnismäßig, ein Messer oder gar eine Schußwaffe zu verwenden.

Daß das im Einzelfall schwierig ist, ist mir auch klar. Für viele Menschen handelt es sich hierbei um Ausnahmesituationen, bei denen man nicht ruhig und überlegt sondern verängstigt bis panisch reagiert. Umso schwerer haben es anschließend aber auch die Richter, solches aus der Retroperspektive heraus zu beurteilen. Und daher kommt es manchmal auch zu spektakulären Urteilen.

Gruß,
Cicero
 
@siggi42. Es gibt bei Notwehr keine Verhältnismässigkeit, den Kirschkernfall ausgenommen. Soweit ichs recht in Erinnerung habe, sind in der Rechtsprechung Sachgüter über 50EUR notwehrfähig.

Beim Notwehrexzess werden ja schon die Grenzen der Notwehr überschritten, heisst, der gegenwärtige, rechtswidrige Angriff ist bereits abgewehrt. Das ist dann eben explizit auch keine Notwehr mehr.

Eine "Verhältnissmässigkeit" findet sich expressis verbis nur in StgB §34 zum "Rechtfertigenden Notstand"

IANAL, bitte um substantielle Korrektur durch einen Strafrechtler ;)
Pitter

Frag mich doch einfach...:p

Also nochmal. Die Notwehr unterliegt grundsätzlich und immer der
"eingschränkten" Verhältnismäßigkeit. Ich habe keine Ahnung, wie ihr darauf kommt,
dass dem nicht so ist ??? :confused: Es ist auf jeden falsch dies anzunehmen. Danke
auch an Cicero, der das mal sehr schön veranschaulicht hat. Nur weil
den Begriff in der Norm nicht finde, heisst das nicht, dass dieser im
Sinne der Notwehr nicht angewendet werden muss.

Verhälnismäßigkeit ist im Prinzip der Rechtsstaatlichkeit im Grundgesetz,
seit der Entstehung unser Verfassung, fest verankert. Und nach der
Ewigkeitsklausel (Art 79 III GG) auch nicht abänderbar. Das ist
unumstößlich und nicht abänderbar.

Ob Sachgüter ab einem Sachwert von 50Euro Notwehrfähig sind, keine
Ahnung. Ist auf jeden Fall nur eingeschänkt zu bejahen, weil lediglich
das Rechtgut Eigentum monetär beschreibbar ist. Und a fängt das Problem
ja auch wieder an. Wenn keine Notwehrsituation beispielsweise vorliegt,
sondern eine Gefahr für ein beliebiges Rechtsgut, dass es zu verteidigen
gilt (rechtfertigender Notstand), ausgenommen einem Sachgut, dann
ist es einfach zwingend erforderlich, eine Verhältnismäßigkeit dafür zugrunde
zu legen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Also nochmal. Die Notwehr unterliegt grundsätzlich und immer der
"eingschränkten" Verhältnismäßigkeit. Ich habe keine Ahnung, wie ihr darauf kommt,
dass dem nicht so ist ??? :confused:

Zum Beispiel dadurch, dass alle mir bekannten Strafrechtler das anders sehen.

Eine Notwehrhandlung muss geboten sein
Sie muss das mildeste Mittel darstellen, um einen rechtswidrigen, gegenwärtigen Angriff sicher zu beenden
Es findet grundsätzlich keine Abwägung der Rechtsgüter statt - etwa im Gegensatz zu StgB §34 und §35 (Ausnahme bei ekklatanten Misverhältnis -> Kirschkernfall). Das wäre eine Verhältnismäßigkeit. Heisst, unter bestimmten Umständen bleibt es straffrei, wenn Du den Dieb Deiner Handtasche in den Rücken schiesst. Eine Abwägung der Rechtsgüter Eigentum und Unversehrtheit geschieht eben grundsätzlich nicht (Recht muss Unrecht nicht weichen).

Das Problem bleibt natürlich zu entscheiden, was ist "geboten" und was "das mildeste Mittel". Sicher ist, das mildeste Mittel muss den Angriff beenden können. Ich muss also nicht erst mal klein anfangen, und mich dann steigern, bis das das sicher mildeste Mittel gefunden habe ;) Von der anderen Seite betrachtet, kann ich nicht jeden Angreifer "einfach so mal" erschiessen, weil dass schliesslich sicher den Angriff beendet. So - und irgendwo dazwischen wird man die Notwehrhandlung bewerten müssen.

Falls der Richter im besprochenen Fall meint, die Verteidigung mit einem Messer gegen mehrere, offensichtlich gewaltbereite Angreifer, wäre grundsätzlich nicht das mildeste Mittel, halte ich das für falsch.

Nur kann man das halt ohne die Urteilsbegründung nicht beurteilen. Ich hab grad andere Sachen im Kopf, vielleicht erbarmt sich mal jemand, und fragt beim Gericht nach, damit man den Fall wenigstens an einer Stelle mal wenigstens einigermassen sachgerecht darstellen kann.

Pitter
 
Hi Pitter!

Dann lass es dir doch mal bitte von den dir bekannten Strafrechtlern
begründen und belegen, dass eine Notwehrhandlung nicht der
Verhältnismäßigkeit unterliegt...

Was meinst du, was "geboten" und "das mildeste Mittel" oder auch
und gerade im § 32 StGB "erforderlich" meinen. Dies spricht ganz klar
von einer geforderten Verhältnismäßigkeit. Notwehr ist die Verteidigung,
die erforderlich, also notwendig ist und mehr nicht. Hier wird ganz klar
eine Verhälnismäßigkeit, wenn auch nur eingeschränkt gefordert.

Ich glaube, dass du auf dem richtigen Weg bist und einfach nur andere
Begriffe verwendest. Genau die von dir erwähnten und von mir
widerholten Begriffe beschreiben die Verhälnismäßigkeit. Bitte zeige mir
einen Strafrechtler, Staatsanwalt, Richter oder wen auch immer, der
das bestreitet.

Heisst, unter bestimmten Umständen bleibt es straffrei, wenn Du den Dieb Deiner Handtasche in den Rücken schiesst. Eine Abwägung der Rechtsgüter Eigentum und Unversehrtheit geschieht eben grundsätzlich nicht (Recht muss Unrecht nicht weichen).

Wenn du dem Dieb in den Rücken schiesst, nur weil er deine Handtasche
(ich hoffe mal nicht, dass es deine ist grins...) klaut,
ist das:

1. unverhältnismäßig und auch keine Notwehrüberschreitung, meint du
wanderst in den Bau (und das absolut zu Recht)

2. der gegenwärtige Angriff wahrscheinlich schon beendet, da der Dieb
schon flüchtet, und somit liegt keine Notwehrhandlung mehr vor, weil
kein Angriff mehr vorliegt respektive der vorgenannte bereits beendet
ist.

Hier besteht die Möglichkeit eines rechtfertigenden Notstandes, eben mit Güterabwägung
und wo wären wir, wenn ein Menschenleben mehr wert ist, als eine
Handtasche...?

Falls der Richter im besprochenen Fall meint, die Verteidigung mit einem Messer gegen mehrere, offensichtlich gewaltbereite Angreifer, wäre grundsätzlich nicht das mildeste Mittel, halte ich das für falsch.

Sehe ich genausp!

Falls ich mit dem hier von mir geschriebenen, vorher studiertem in vielen
Lehrgängen und Besprechungen sowohl mit Staatsanwälten als auch mit
Richtern
bestätigten Annahmen (zu den ich dir, wenn ich Ende nächster Woche
Zeit habe unzählige Urteil aufzeigen kann) falsch liege, dann weiß ich
auch nicht mehr. Dann würde ich vom Glauben abfallen. :argw:

Was bestimmt nicht geschehen wird!:D
 
Ich denke, dass die kleinen Probleme in der Diskussion an der Nutzung unterschiedlicher Begriffe liegen.

Das was Pitter als "Gebotenheit der Abwehrhandlung" bezeichnet, wird von Siggi42 als "eingeschränkte Verhältnismäßigkeit" gesehen. Ich hoffe, dass ich euch beide so richtig verstanden habe.

Wenn wir beide Begriffe gleich setzen, wäre zumindest dieses begriffliche Problem gelöst.
 
Zuletzt bearbeitet:
2. der gegenwärtige Angriff wahrscheinlich schon beendet, da der Dieb
schon flüchtet, und somit liegt keine Notwehrhandlung mehr vor, weil
kein Angriff mehr vorliegt respektive der vorgenannte bereits beendet
ist.


Hi!

Ich bin kein Jurist, habe dazu aber eine Frage.

Nehmen wir mal diesen Fall mit der Handtasche an. Dürfte ich, da eben keine "unmittelbare Gewalteinwendung" mehr auf mich vorliegt, auch meinerseits überhaupt keine Gewalt mehr anwenden?

Also wenn ein Dieb mit der Tasche wegläuft, könnte man ja z.B. auf die Idee kommen einen Stein oder Stock nach ihm zu werfen, der unter Umständen auch zu gröberen Verletzungen führen kann (man trifft den Kopf oder der Dieb stolpert und fliegt auf die Bordsteinkante etc.).

Wie sollte sich hier der perfekte Bürger, wie sich ihn die Richterlandschaft vorstellt (ein bisschen Polemik sei erlaubt ;)) verhalten? Den Täter flüchten lassen und Anzeige erstatten, vermutlich?


Freundliche Grüße
 
Nehmen wir mal diesen Fall mit der Handtasche an. Dürfte ich, da eben keine "unmittelbare Gewalteinwendung" mehr auf mich vorliegt, auch meinerseits überhaupt keine Gewalt mehr anwenden?

Also wenn ein Dieb mit der Tasche wegläuft, könnte man ja z.B. auf die Idee kommen einen Stein oder Stock nach ihm zu werfen, der unter Umständen auch zu gröberen Verletzungen führen kann (man trifft den Kopf oder der Dieb stolpert und fliegt auf die Bordsteinkante etc.).

Da der Dieb mit der Beute schon weggelaufen ist, liegt kein gegenwärtiger Angriff mehr vor. Insofern wäre eine Gewaltanwendung gegen den Dieb nicht mehr durch § 32 StGB gerechtfertigt.

Neben der Notwehr (§ 32 StGB) und anderen strafrechtlichen Rechtfertigungsgründen gibt es auch Rechtfertigungsgründe aus dem Zivilrecht.

Im genannten Beispiel des weglaufenden Diebes wäre § 859 BGB
(Selbsthilfe des Besitzers) einschlägig.

§ 859 Bürgerliches Gesetzbuch
(1) Der Besitzer darf sich verbotener Eigenmacht mit Gewalt erwehren.
(2) Wird eine bewegliche Sache dem Besitzer mittels verbotener Eigenmacht weggenommen, so darf er sie dem auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter mit Gewalt wieder abnehmen.

Die Vorraussetzungen zur straffreien (weil gerechtfertigten) Gewaltanwendung gegen den Dieb wären dann:
- Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht durch den Diebstahl
- der Dieb muss auf frischer Tat betroffen oder verfolgt werden
- Handeln des Besitzers (seine Selbsthilfe) muss sich auf das zur Wiedererlangung der Sache notwendige Maß beschränken
- dazu muss die Motivation desjenigen, der die Selbsthilfe in Anspruch nimmt, auf die Wiederherstellung des Besiztes ausgerichtet sein (dem Dieb auch noch aus Wut "eine zu geben" gilt nicht)

Ob das Hinterherwerfen eines Stockes oder Steines das notwendige Maß darstellt, stelle ich mal in Frage. In einem Strafverfahren könnte die Frage aufkommen, ob es nicht milder gewesen wäre, dem Dieb hinterher zu laufen und ihn festzuhalten, um dann die Handtasche auch mit Gewalt wieder zu erlangen.

Und damit schließt sich wieder der Kreis, denn diese Frage ist dem Ursprungsthema (Notwehr durch Messerstich gegen Angreifer) sehr ähnlich!
 
Zuletzt bearbeitet:
Also wenn ein Dieb mit der Tasche wegläuft, könnte man ja z.B. auf die Idee kommen einen Stein oder Stock nach ihm zu werfen, der unter Umständen auch zu gröberen Verletzungen führen kann (man trifft den Kopf oder der Dieb stolpert und fliegt auf die Bordsteinkante etc.).

Wenn der Angriff rechtswidrig und noch gegenwärtig ist - und das ist er noch, wenn der Dieb mit der Beute wegrennt und er sich noch in Deinem Zugriffsbereich befindet - dann sind wir eben immer noch bei der Notwehr. Und deswegen ist es grundsätzlich auch wurscht, ob der Dieb sich dann das Genick bricht, wenn Du ihm einen Stock hinterherwirfts, wenn das eben das mildeste Mittel ist, das den Angriff beendet. Das gleiche gilt eben auch für den von mir angesprochenen Schuss in den Rücken. Und da kann siggi42 zigmal mit dem Fuß auftstampfen, es wird nicht wahrer. Denn nochmal, bei der Abwägung der Rechtsgüter in einem Notwehrfall gibt es keinen Maßstab der Verhältnismäßigkeit - mal als Beispiel: http://www.lawww.de/Library/para32_34/rgst55_82.html . Die Handlung war nur deswegen rechtswidrig, weil die paar Äpfel im krassen Misverhältnis zum Schusswaffengebrauch stehen. Das ist die viel zitierte Ausnahme, und nicht die Regel.

Wenn der Dieb aber schon um die Ecke verschwunden ist, und du ihm ne halte Stunde später mit Deiner Tasche begegnest, dann ist das kein gegenwärtiger Angriff mehr und damit gibts auch keine Notwehr.

Pitter
 
Da der Dieb mit der Beute schon weggelaufen ist, liegt kein gegenwärtiger Angriff mehr vor

?? Wenn er weggelaufen ist, oder wenn er wegläuft. Wenn letztes - warum sollte der Angriff nicht mehr gegenwärtig sein?

"Ein Angriff ist gegenwärtig im Sinne von § 32 StGB Notwehr, wenn er unmittelbar bevor steht, bereits begonnen hat oder noch fortdauert (BGH NJW 73, 255)".

Zur Verteidigung mit einem Messer - weil ich gerade drüber gestolpert bin:

Quelle: <http://www.eisenbeis-rechtsanwaelte.de/>

BGH, Urt. v. 24.07.2001, Az.: 4 StR 256/01
Der BGH hebt eine Entscheidung der Vor-
instanz auf, die die Notwehr mit dem Hin-
weis darauf, dass ein Messerstich in die
Brust eines unbewaffneten Angreifers kein
relativ mildestes Mittel mehr sei, um einen
Angriff von sich abzuwehren, verneint hat-
te. Der BGH betont hingegen, dass die
Erforderlichkeit im wesentlichen von der
Art und dem Maß des Angriffs abhänge;
grundsätzlich dürfe der Angegriffene das
Abwehrmittel wählen, das eine sofortige
und endgültige Beseitigung der Gefahr
erwarten lasse.

oder

BGH NStZ 2002, 140: Der BGH ver-
weist darauf, dass ich der Angegriffene auf
einen Kampf mit ungewissem Ausgang
nicht einlassen muss; die Notwehr schließt
damit – einzelfallabhängig – ausnahms-
weise auch den Einsatz eines lebensge-
fährlichen Mittels mit ein.


Pitter
 
Hi!

Ich bin kein Jurist, habe dazu aber eine Frage.

Nehmen wir mal diesen Fall mit der Handtasche an. Dürfte ich, da eben keine "unmittelbare Gewalteinwendung" mehr auf mich vorliegt, auch meinerseits überhaupt keine Gewalt mehr anwenden?

Also wenn ein Dieb mit der Tasche wegläuft, könnte man ja z.B. auf die Idee kommen einen Stein oder Stock nach ihm zu werfen, der unter Umständen auch zu gröberen Verletzungen führen kann (man trifft den Kopf oder der Dieb stolpert und fliegt auf die Bordsteinkante etc.).

Wie sollte sich hier der perfekte Bürger, wie sich ihn die Richterlandschaft vorstellt (ein bisschen Polemik sei erlaubt ;)) verhalten? Den Täter flüchten lassen und Anzeige erstatten, vermutlich?


Freundliche Grüße

Recht braucht Unrecht nicht zu walten, das steht grundsätzlich fest.

Das heisst, solange der Angriff fortdauert, darfst du, wie das die
Urteile die Pitter angeführt hat:

dass ich der Angegriffene auf
einen Kampf mit ungewissem Ausgang
nicht einlassen muss; die Notwehr schließt
damit – einzelfallabhängig – ausnahms-
weise auch den Einsatz eines lebensge-
fährlichen Mittels mit ein.
...

Wenn der Angriff vorbei ist, der Dieb also wegrennt, dauert der Angriff
auch nicht mehr fort. Die Notwehr ist unmittelbar beendet, Jetzt
stehen die andere Mittel zur Verfügung, rechtfertigender Notstand,
allerdings mit Güterabwägung. Und einen Stein hinterherwerfen...hmm
kein Ahnung, wenn er dabei nicht lebensgefährlich verletzt wird, vielleicht,
ansonsten bist du am Arsch...

Wenn du dich traust kannst du dich auch an seine Fersen hängen, und
ihn nach § 127I StPO (Jedermannsfestnahme) versuchen festzunehmen...
 
, weil die paar Äpfel im krassen Misverhältnis zum Schusswaffengebrauch stehen.

ergo: der Richter bewertet die Verhältnismäßigkeit.
Das versteckt sich letzlich auch in der Sache mit "sofern der Angriff nicht mit milderen Mitteln hätte abgewehrt werden können".

@ Siggi

Wenn der Angriff vorbei ist, der Dieb also wegrennt, dauert der Angriff auch nicht mehr fort.
Sofern sich der Dieb im persönlichen "Aktionsradius" befindet dauert der ANgriff auf mein Eigentum auch dann noch an, wenn der Dieb sich anschickt zu flüchten.
Es ist imho sehr wohl von der Notwehr gedeckt dem Dieb die Flucht mit dem mir rechtswidrig entwendeten Eigentum zu vereiteln.

Der Schuß in den Rücken wegen des Diebstahles einer Handtasche landet aber vermutlich wirklich in U-Haft...

Investigator
 
?? Wenn er weggelaufen ist, oder wenn er wegläuft. Wenn letztes - warum sollte der Angriff nicht mehr gegenwärtig sein?

"Ein Angriff ist gegenwärtig im Sinne von § 32 StGB Notwehr, wenn er unmittelbar bevor steht, bereits begonnen hat oder noch fortdauert (BGH NJW 73, 255)".

Es stellt sich halt nur die Frage, ob der Angriff im genannten Fall "noch fortdauert". In der Literatur wird davon ausgegangen, dass der Angriff nicht mehr fortdauert, wenn die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut entweder völlig beseitigt ist oder in einen endgültigen Verlust umgeschlagen ist. Ist der Dieb "noch da", gebe ich dir Recht, befinden wir uns im Bereich der Notwehr - ist der Dieb "schon weiter weg", lassen sich andere Rechtfertigungsgründe zur Verteidigung des Eigentums finden.

Nochmals zum Thema "Verhältnismäßigkeit".

Bei der Argumentation von siggi42 habe ich mich auch schwer getan, da ich den Begriff der Verhältnismäßigkeit aus dem § 32 StGB nicht kenne. In den Beck’schen Kurzkommentaren (Tröndle/Fischer) zum StGB taucht der Begriff der Verhältnismäßigkeit beim § 32 StGB einmal auf. Hier ist lediglich von einer Verhältnismäßigkeit zwischen Angriff und Abwehr die Rede, was, wie bereits in einem anderen Beitrag geschrieben, als das „Gebotensein der Abwehrhandlung“ angesehen werden muss. Die Verhältnismäßigkeit bezieht sich aber nicht, wie ebenfalls bereits geschrieben, auf das angegriffenen Rechtsgut und das durch die Verteidigung bedrohte Rechtsgut.

Die Argumentationen von Pitter und Siggi42 sind doch gar nicht so verschieden.
 
Also eigentlich hatte ich jetzt eigentlich schon wieder einen großen Absatz
geschrieben gehabt. Aber das erspare ich mir jetzt.

Letztendlich verwendest du Pitter die richtigen Argumente. All das ist
eine Verhälnismäßigkeitsprüfung. Das Notwehrrecht ist immer einzelfall-
bezogen und relativ kompliziert. Dem Dieb einen Stock hinterherwerfen
ok. Schiessen nein. Das ist meine Meinung und deine ist eben anders.

Ein Missverhältnis zwischen dem Mittel zur Abwehr und dem momentane Angriff in einer Notwehrlage würde es nicht geben, wenn die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht existent wäre. Es wird spätestens
im Nachhinein durch den Richter eben immer geprüft, ob das vom Angegriffenen gewählte Mittel, das relative mildeste war, um einen
Abruch des Angriff erwarten zu lassen oder auch eben auch den
sofortigen Abbruch (dein BGH-Zitat). Aber eben nur abhängig vor
der Art und des Maßes des Angriffs... (wieder dein BGH-Zitat).
Und das ist es eben nicht dem Täter in den Rücken zu schiessen, sondern
diesen flüchten zu lassen...

Ich werde dir gegen Ende der Woche einfach mal nen paar Kommentare,
die sich an der geltenden Rechtsprechung und den wichtigsten Urteilen
orientieren,
zukommen lassen (wenn du magst).

Weißt du, ich habe keinen Bock hier im Forum was falsches zu erzählen, warum auch.
Dafür ist das Thema zu wichtig. Das läge mir quasi fern...:)
 
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