Die Aussagefähigkeit von CATRA-Tests
Was CATRA-Tests zur Ermittlung der Schnitthaltigkeit anbetrifft, wird häufig die Aussagekraft mangels Praxistauglichkeit angezweifelt, weil eine Maschine gerade Schnitte in Karton ausführt und keine Verkantungen berücksichtigt werden, die bei Gebrauch eines Messers durch die menschliche Hand entstehen.
Es gibt andere vergleichende Tests, die per Hand durchgeführt werden. Und zwar, indem Manila Rope geschnitten wird, bis das Messer nicht mehr einwandfrei Papier schneidet. Hier haben sich insbesondere drei Tests etabliert - von Jim Ankerson, Pete vom Cedric and Ada youtube channel und Pavol Sandor.
Larrin Thomas hat nun untersucht, inwieweit die Ergebnisse der Rope-Cutter mit denen der CATRA-Tests zusammenpassen. Also CATRA auf die Verläßlichkeit hin überprüft. In Kürze:
„Overall I am very pleased with the correlation between CATRA and rope cutting. …… CATRA results look very similar to rope cutting by people. Therefore, CATRA looks to be a good test for slicing edge retention.“
Es lohnt sich,
den gesamten Bericht zu lesen. Dort finden sich auch die Links zu den jeweiligen Rope-Cutting-Tests.
Der erforderliche Gesamtschneidenwinkel
Noch etwas zum Gesamtschneidenwinkel. Wie Larrin herausgearbeitet hat und wie es sich in den Rope-Cutting Tests bestätigt, hat die Geometrie einen erheblichen Einfluß auf die Performance. Wesentliche Erkenntnis - ein kleinerer Gesamtschneidenwinkel verbessert die Schnitthaltigkeit.
Die - erforderliche - Größe dieses Winkels ist immer wieder Diskussionpunkt. Der eine beschwört die Erfordernis von 40°, der andere liebt 20°. Es kommt wesentlich darauf an, für welchen Zweck ein Messer eingesetzt werden soll (schneiden oder hauen) und aus welchem Stahl die Klinge besteht (zäh oder spröde).
Gehen wir mal von einem Messer aus, das für den gängigen täglichen Gebrauch gedacht ist - ein typisches EDC und der Benutzer weiß, was er tut (kein Mißbrauch, nicht auf Biegen und Brechen) - dann ist es definitiv kein Problem, einen Gesamtschneidenwinkel von 30° anzulegen.
Damit läßt sich passabel schnitzen, problemlos Karton schneiden, auch Äpfel kann man schälen. Und über die Stabilität muß man sich keine Sorgen machen. Was schon die Tatsache beweist, daß abertausende solcher Messer mit einem Gesamtschneidenwinkel von 30 Grad (mit kleinen Abweichungen) die Werke von Spyderco verlassen. Von unzähligen diesbezüglichen Reklamationen ist nichts bekannt. Spyderco wäre auch mit der Drahtbürste gepudert, würde man diesbezüglich große Risiken eingehen.
Und das gilt für ein weites Spektrum an Stahl. Und funktioniert sowohl für eher zähe Stähle wie 52100, CPM CruWear oder LC200N als auch für CPM S30V, CPM S110V, M390, VG-10 oder ZDP-189.
Die Qual der Wahl beim Stahl
Darüber hinaus ist anzumerken, daß sich beim Stahl die Qual der Wahl bei bewußtem Gebrauch und pfleglicher Behandlung erheblich reduzieren läßt. Das Kriterium Rostträgheit läßt sich dann auf Messer für sehr bestimmten Gebrauch beschränken (ständig feuchte Umgebung, ständiger Kontakt mit Säuren, Tauchermesser, Anglermesser). In den meisten Fällen kann es außen vor gelassen werden.
Schnitthaltigkeit wird imho überschätzt und ist vielleicht dann von größerer Bedeutung, wenn man ständig viel zu schneiden hat (laufend Kartons zerkleinern, der Küchenchef) oder wenn man als Jäger im Feld nicht nachschärfen möchte. Der Standardanwender erkauft sich sehr hohe Schnitthaltigkeit mit dem immer damit verbundenen größeren Aufwand des Schärfens. Möglicherweise benötigt er gar spezielles Equipment (Diamant). Und es geht auf Kosten der Zähigkeit.
Die Zähigkeit ist eine Eigenschaft, der ich persönlich den größten generellen Nutzen zurechne, verschafft sie mir doch die Möglichkeit, einen kleineren Schneidenwinkel anzulegen und dadurch die Schneidfähigkeit und -freude beträchtlich zu erhöhen. Oder sie verschafft mir - bei unverändertem Schneidenwinkel - ein Sicherheitspolster im Umgang.
Zudem zeichnen sich zähe Stähle in der Regel dadurch aus, daß sie über eine feine Kornstruktur verfügen und wenige sehr kleine Karbide enthalten (AEB-L, 5160, 52100, 15N20, CPM 3V). Was dazu führt, daß man sie recht einfach mit konventionellen Mitteln schärfen und fein ausschleifen kann. Hier als Beispiel die Kornstruktur von AEB-L (Bild 01) und Rex121 (Bild 02). Die weißen Klunker sind die harten Karbide.
Bei alledem bleibt abschließend dazu noch anzumerken, daß man bei allen individuellen Vorlieben prinzipiell - ohne Befürchtungen haben zu müssen - zu allen heute gängigen Messerstählen greifen kann. Mein Spyderco Para Military 52100 ist eine Liebhaberei, das viele Jahre alte mit Klinge aus CPM S30V schneidet immer noch, ohne Blessuren davongetragen zu haben. Auch gegen beispielsweise VG-10, RWL34 oder ZDP-189 kann ich nach längerer Erfahrung damit keine prinzipiellen Einwände ins Feld führen. Man kann es sich einfach machen

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R’n‘R