Ein Praktikum bei Jean-José Tritz

Diese Schwarzweißfotos sind meisterhaft. Ganz großes Kino/Foto. Darf ich fragen wie die Fotos entstehen? Ich nehme nicht an auf Film, sondern mit Digitalkamera. Nimmst du die in Farbe auf und stellst dann in der Bildbearbeitung auf schwarzweiß um, oder nimmst du die gleich als Schwarzweißfoto auf? Das Schwarzweiß eignet sich wirklich hervorragend um die Grauschattierungen und Struktur der Rohlinge einzufangen. Man glaubt fast sie anfassen zu können. Toll.

Warum ist Leinöl Bäh? Firnis ist ja im Prinzip dasselbe, bloß dass es gekocht wird und Sikkative zugesetzt werden. Leinöl dauert einfach länger bis zum Trocknen/Aushärten. Aber das kann ja kein "Bäh" rechtfertigen. Gibt es da ein mir unbekanntes Argument?
Dankeschön für die verbalen Blumen!
Da du danach gefragt hattest, wie mein Workflow bei den Aufnahmen ist: Ich fotografiere mit einer Canon R5 oder der R5II, vornehmlich mit den Festbrennweiten 35 und 50 mm, da es recht dunkel ist und ich nicht höher als ISO 3200 gehen möchte. So lande ich bei Verschlusszeiten von 1/60 bis 1/125 sek. bei recht hoch geöffneten Blendenwerten. Wegen der Nachbereitung am Rechner nehme ich grundsätzlich im RAW-Format auf und lade die Bilder in Lightroom ein. Schwarzweiss erfordert ganz andere Einstellungen als die RGB-Entwicklung. Ich habe früher viel analog in SW fotografiert und selbst entwickelt und vergrößert. Das Verständnis der alten Labortechniken kommt mir bei dieser Geschichte natürlich zugute...

JJT bevorzugt Leinölfirnis, weil es deutlich schneller einzieht als Leinöl und es nicht ranzt.
 
Danke. Seit ich mit der Digitalkamera fotografiere, habe ich keine Schwarzweißfotos mehr gemacht und hab auch größtenteils meine Laborausrüstung verkauft. Deshalb hat mich interessiert, wie man das digital macht. Die offene Blende sieht man ja an den unscharfen Hintergründen. Ich nehme an, dass bei ISO 3200 langsam das Rauschen beginnt. Die neuen Kameras sind da ja viel besser geworden. Die Lichtverhältnisse in einer dunklen Schmiede sind eine Herausforderung. Mit lichtstarken Festbrennweiten hast du wahrscheinlich das Maximum rausgeholt. Was mich noch interessieren würde, ist wieviel Fotos du machen musst, damit am Ende dann solche Ergebnisse rauskommen. Machst du Belichtungsreihen oder weißt du aus Erfahrung was du einstellen musst und machst den Rest dann in Lightroom?

Ich hab ja auch verschiedene Leinölprodukte ausprobiert. Leinöl, Leinölfirnis, Halböl, Hartöl. Allerdings bin ich das nicht wissenschaftlich angegangen, also nicht mit dem selben Holz aus demselben Baum und alles genau überwacht und am Ende aufgeschnitten. Vom Ergebnis her konnte ich aber keine gravierenden Unterschiede feststellen. Ich habe auch eben nochmal an meiner Leinölfirnis gerochen - die ranzt auch und das Hartöl ranzt auch. Vielleicht hängt es vom Produkt ab. Das stinkt nur beim Auftragen, wenn es am Ende ausgehärtet ist, rieche ich nichts mehr. Halböl dringt etwas schneller ein, weil Terpentin drin ist. Theoretisch müsste Leinöl sogar schneller eindringen als Firnis, weil Firnis gekocht ist und deshalb theoretisch dickflüssiger. Aber wie gesagt hab ich da keinen Unterschied bemerkt. Wenn man schnelles eindringen wünscht kann man mit Temperatur arbeiten. Das Eindringen hängt am stärksten vom Holz ab. Schwere Tropenhölzer nehmen fast nichts.
 
Leinölfirnis härtet schneller aus als Leinöl, deshalb benutzt man das. Ranzig wird beides nicht. Ich nehm immer noch etwas Balsamterpentin zum verreiben.
 
*Leinöl wird nach Aushärtung nicht mehr Ranzig, Leinöl Firnis hat je nach Hersteller bedenkliche zusätze drin.Es ist Aktuell nicht so leicht, LEinölfirnis ohne bedenkliche zusätze zu bekommen.
 
Lektion fünf fand in JJTs Schmiede bei Schönberg statt. Genau so stellt man sich eine alte Dorfschmiede vor, in der vor über hundertfünfzig Jahren Radreifen für Kutschen hergestellt wurden – und seither noch nie aufgeräumt worden ist...

Allein schon die Fahrt dorthin war schon interessant und amüsant. JJT erzählte davon, wie er einmal seine eigene Stahllegierung produziert hatte.
Merke: Es ist immer gut einen bekennenden Pyromanen im Freundeskreis zu haben, der über einen Vorrat an Thermit verfügt (das kannte ich eigentlich nur aus zweitklassigen Actionkrachern). Mit dem Zeug kann man sich jedenfalls in kurzer Zeit seinen eigenen TNT666 im Blumentopf erschmelzen...

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In der Schmiede befindet sich eine Esse, die mit Holzkohle betrieben wird. Daneben hat sich JJT aus einer ausrangierten Propangasflasche auch eine Gasesse gebaut, die innen dick mit dämmendem Material ausgefüllt ist. Neben einem klassischen 125-Kilo-Amboss für das Unterarmtrainig stehen auch zwei weitere, elektrisch betriebene Schmiedehämmer herum. Die könnten beide auch in einem Museum stehen...

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Kurzer Detailblick: Neben der Holzkohle-Esse liegen in der Grabbelkiste diverse Metallstücke herum, die JJT nach Bedarf für seine Schmiedearbeiten auswählt. Mal ist was aus Apex Ultra, mal etwas aus TNT66, mal Feder-, oder Feilenstahl. Mittels einem Stück Kreide markiert JJT einzelne Stücke...

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Unter Anderem hatte JJT noch ein Stückchen TNT666 herumliegen, das aber im Kundenauftrag heute zu einem San Mai verschweißt und als Vorgabe 170 x 70 x 6 mm (an der Angel) werden musste.
Auf die Frage: "Was hältst du eigentlich von Apex Ultra, das wird ja überall gehyped", meinte er: "Die Idioten haben da viel zu viel Chrom reingemischt. Das wird dafür sorgen, dass bei so ziemlich jedem Messer mit AU als Kernlage eine Delaminierung vorprogrammiert ist, wenn man nicht penibelst sauber feuerverschweißt..."

Ein Klötzchen TNT666 mit einer Messerspitze Chrom, einem Happs von Titan, einem Löffelchen Nickel und einer Prise Niob. Das ist ihm viel lieber als der Hypestahl Apex Ultra.

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Also erst einmal das kostbare Reststück mit dem Trennschneider abflexen, alle Seiten schön mit der Flex polieren und mit den Flankenstücken verheiraten...

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Das Sandwich sieht dann so aus:

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Nochmals zur Erinnerung: Das Klötzchen wird mal 170 mm lang, 70 mm hoch und sechs mm vor der Angel haben. Es wird kaum nennenswerten Verschnitt und damit Materialverlust geben...

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Zusammen mit einem Stück Baustahl als Haltegriff wird das ganze dann zusammengebacken oder besser: feuerverschweißt. Da sollte ich besser nicht direkt hinschauen, wenn mir meine Augen noch weiterhin dienlich sein sollten...

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to be continued...
 
Was mich noch interessieren würde, ist wieviel Fotos du machen musst, damit am Ende dann solche Ergebnisse rauskommen. Machst du Belichtungsreihen oder weißt du aus Erfahrung was du einstellen musst und machst den Rest dann in Lightroom?
Ich mach das kurz hier, um nicht völlig vom Thema abzuschweifen: In der Schmiede hatte ich fotografiert, bis die beiden Hochleistungsakkus meiner Kamera kollabiert sind, das war nach etwa 870 Klicks der Fall. So um die 450 Bilder habe ich nach der ersten Sichtung umgehend gelöscht, 150 waren technisch akzeptabel. Ausgearbeitet habe ich etwa 60 Motive, zeigen werde ich vielleicht 40. Macht also etwa 95 Prozent Ausschuss. Ich fotografiere mit einer vorgegebenen Zeitvorwahl, um Bewegungsunschärfe zu minimieren oder gezielt zu kontrollieren. Die Blende hat sich danach zu richten. Die Empfindlichkeit stelle ich vorab ein. Der Echtzeitsucher einer spiegellosen Kamera ist ein echter Gamechanger. Man sieht die Helligkeit bereits bei der Belichtung und nicht mehr wie früher erst in der Rückschau.

Henri Cartier-Bresson hatte mal gesagt, er wäre happy, wenn pro Jahr ein gutes Bild herausspringt...
 
Ok, das steht auf meiner Flasche nicht drauf. Müsste sowas nicht gekennzeichnet sein?
Auf welcher Grundlage? Das ist ja kein Lebensmittel. Bei allen anderen Holzschutzmitteln steht ja auch nicht jeder Inhaltsstoff auf dem Etikett.

Das "Kinderspielzeug"-Siegel hat es ja zu Recht trotzdem. Kannste für Griffe und Bretter etc. nehmen.

Wenn du aber unbedingt sikkativfreies willst, kann ich das von mir weiter oben verlinkte Lausitzer empfehlen. Das ist gut und in größeren Gebinden geradezu spottbillig. Braucht aber zum Trocknen locker doppelt so lange wie Biopin
 
Zurück zum Thema: Man kann wohl niemals genügend Zangen haben. Jedes zu schmiedende Dingen will von vorne, hinten oben oder unten gegriffen werden. Für alle möglichen Fälle hat JJT jedenfalls eine passende Antwort herumhängen...Auch, wenn manche Fälle mittlerweile etwas Spinnennetz angesetzt haben...

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Nach dem Laminieren des San Mai-Klötzchens muss erst mal die Holzkohle-Esse auf Temperatur gebracht werden...

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Mach mich heiss, Baby: Borax ist ein geiles Zeugs, erfunden vor etwa 110 Jahren – natürlich von den Deutschen – die Kanonenrohre innen hart und aussen weich machen wollten. Die Kriege haben sie zum Glück dennoch verloren. Die Zugabe dieses amorphen Zeugs qualmt und stinkt jedenfalls spektakulär!

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Ihr wollt Borax? Ihr bekommt Borax: Und nein, ich möchte euch am Ende kein X für ein T vormachen...

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Nach dem Laminieren geht es jedenfalls ans Klöppeln und Schmieden. Der archaische Schmiedehammer funktioniert (noch). Das Antriebsrad ist kurz vor dem entgültigen Reissen.
Ihr könntet JJT jederzeit durch eine Spende oder einen Auftrag unterstützen, damit dieser Hammer ein funktionierender Hammer bleiben darf...

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Ich muss es einfach mal so – und sehr sentimtal – schreiben: Einer besten Schmiede der Welt: Einer der ganz wenigen mit überragender Kompetenz kämpft um sein Fortbestehen und Überleben!
Wenn er in ein paar Jahren zu arbeiten aufhören wird, wird die Messerwelt um Einiges ärmer sein...

Ich habe das nicht mit JJT abgesprochen, ich fühle aber im Innersten seinen Leidensdruck und möchte ihm einfach nur helfen!
Wenn mich JJT oder ein Mod hier nun rauswerfen sollte, ist das völlig okay – ich habe das Wichtigste zum Thema geschrieben!
 
Zuletzt bearbeitet:
Jenseits des sentimentalen Intermezzos: Eine Übersicht von JJTs Schmiede. Links die Gasesse, dann der herrlich reflektierende 125-Kilo-Amboss, in der Mitte der Meiste beim Flennenr,
rechts die Holzkohle-Esse...

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Das Sandwich ist auf Temperatur gebracht, es glüht und will deformiert werden – remember: "If I had a Hammer" von den Carpenters?
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Der Slot zum Bearbeiten ist wirklich sehr kur. Zwischen hellrot glühend und schlappem limagrau sind nur wenige Sekunden, in denen der Stahl gefügig gemacht werden kann....
Danach geht es wieder fix ins "Heisse"...

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ich könnte jetzt diverse Bilder von JJT zeigen, Paradebeispiele für: "Demnächst versunkene Berufe" oder "Die Letzten Ihrer Art" sin könnten. Jedenfalls bin ich sehr glücklich, diese Aufnahmen machen zu können...

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